Private Revolutions

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Ausgangspunkt für Alexandra Schneider hervorragende Dokumentation „Private Revolutions“ war zwar der arabische Frühling, der 2001 voller Hoffnung begann, doch bald konzentriert sich der Blick der österreichischen Regisseurin auf das Privatleben ihrer vier Protagonistinnen, die unterschiedliche Aspekte der Frauen Ägyptens repräsentieren.

Webseite: www.privaterevolutions-film.com/de

Österreich 2014 - Dokumentation
Regie: Alexandra Schneider
Länge: 98 Minuten
Verleih: fugu Filmverleih
Kinostart: 10. September 2015
 

FILMKRITIK:

Egal ob es der Tahir-Platz in Kairo, der Maidan in Kiew oder der Taksim-Platz in Istanbul war: Die Bilder der Revolutionen gingen in den letzten Jahren um die Welt. Kein Wunder, waren die Aufnahmen von anfangs meist friedlichen Protesten, die dann von mehr oder weniger repressiven Organen des Staates zerschlagen wurden, doch mitreißend und packend. Doch nachdem die Schlacht geschlagen, die Protestcamps abgebaut waren, verschwanden die meisten Filmteams, dabei wurde es jetzt erst richtig interessant. Denn erst wenn der Rauch der Schlacht sich verzogen hat, wieder eine gewisse Normalität eingekehrt ist, zeigt sich, was die Revolutionen wirklich erreicht haben. – Und das ist meist sehr wenig.

Im Gegensatz zu vielen Kollegen nahm sich die österreichische Dokumentarfilmerin Alexandra Schneider viel Zeit, um ihre vier Protagonistinnen zu begleiten, reiste im Laufe von zwei Jahren – etwa zwischen Juni 2011 und Juli 2013 – immer wieder nach Ägypten und baute so auch das Vertrauensverhältnis auf, dass für ihren Film notwendig und vor allem so bereichernd war. Ausgangspunkt des Films waren wie gesagt die Proteste auf dem Tahir-Platz im Zentrum Kairos, wo es Sharbat Abdullah immer wieder hinzog. Trotz des Widerstandes ihres Mannes nahm sie an den Protesten teil, nahm auch ihre beiden Söhne mit, um ihnen zu zeigen, dass sich das kämpfen lohnt, zumal sie selbst wenig Chancen auf sozialen Aufstieg haben.

Ebenfalls Kinder, sogar drei kleine Söhne, hat Fatema Abouzeid, die mit den Muslim-Brüdern sympathisiert, nebenbei ihre Doktorarbeit schreibt, für Mann und Kinder kocht und eigentlich kaum Zeit für irgendeinen Protest haben sollte.

Während diese beiden Frauen Kinder und Familie haben, sind Amani Eltunsi und May Gah Allah Single und kinderlos, was sie in der konservativen ägyptischen Gesellschaft ohnehin schon zu Außenseitern macht. Während Amani einen Internet-Radiosender und ein unabhängiges Verlagshaus führt und sich bemüht, sich nicht mit den staatlichen Zensoren anzulegen, versucht die aus Nubien im Süden Ägyptens stammende May, in ihrer sozial vernachlässigten Heimat ein Gemeindezentrum aufzubauen.

Vier selbstbewusste Frauen sind hier zu sehen, vier Frauen, die versuchen ihr Leben selbst zu bestimmen, sich von den Zwängen der ägyptischen Gesellschaft zu lösen. Wie schwierig dies fällt, mit welch offenen und versteckten Widerständen sie zu kämpfen haben ist eine der Linien des Films. Manchmal werden sie nicht wirklich ernst genommen, dann wieder angegriffen, weil sie Missstände offensiv ansprechen, die für Andere, vor allem für nicht wenige Männer, keineswegs problematisch sondern ganz einfach normal sind.

Gerade das Schneider ihren Film über so lange Zeit gedreht hat, die Geduld hatte, immer wieder zurückzukommen, macht „Private Revolutions“ so reich und komplex. Denn so sind nicht nur Momentaufnahmen zu sehen, sondern Entwicklungen, die mal mehr, mal weniger erfreulich verlaufen. Besonders interessant ist dabei der Fall von Fatema, die nach dem Sieg der Muslim-Brüder bei der ersten Wahl nach der Revolution die Mehrheit stellten, den Kontakt abbrach. Ohne das es verbalisiert werden muss wird hier deutlich, wie wenig Freiheiten diese so resolute Frau eigentlich hatte. Wohl mehr geduldet als akzeptiert waren ihre Emanzipationsversuche seitens ihres Mannes, den man im Film nie zu Gesicht bekommt, der aber doch stets präsent ist. Wie Alexandra Schneider diese Strukturen andeutet, ohne ihre privilegierte Position als ausländische Beobachterin als Maßstab zu nehmen, macht „Private Revolutions“ zu so einem komplexen Dokumentarfilm.
 
Michael Meyns