Rachels Hochzeit

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Eine junge, drogenabhängige Frau (Anne Hathaway) kehrt für wenige Tage anlässlich der Hochzeit ihrer Schwester nach Hause zurück. Es dauert nicht lange und schon brechen alte Wunden und Konflikte innerhalb der eigenen Familie wieder auf. Nach Ausflügen in den Dokumentar- und Musikfilm versucht sich Regisseur Jonathan Demme mit „Rachels Hochzeit“ an einer im puristischen „Dogma“-Stil gehaltenen Charakterstudie. Deren emotionales Zentrum ist eine souverän aufspielende Anne Hathaway, die hier wunderbar gegen ihr Sauberfrau-Image besetzt wurde, was ihr unlängst eine Oscar-Nominierung als „Beste Hauptdarstellerin“ einbrachte.

Webseite: www.rachels-hochzeit.de

OT: Rachel Getting Married
USA 2008
Regie: Jonathan Demme
Drehbuch: Jenny Lumet
Mit Anne Hathaway, Rosemarie DeWitt, Bill Irwin, Mather Zickel, Debra Winger
Laufzeit 113 Minuten
Kinostart: 2.4.2009
Verleih: Sony

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Familienfeste scheinen prädestiniert dafür zu sein, aufgestaute Konflikte und Animositäten an die Oberfläche zu befördern. Der dänische Filmemacher Thomas Vinterberg präsentierte mit seinem Dogma-Beitrag „Das Fest“ einst die zugegeben extreme Variante eines familiären Ausnahmezustands, bei dem am Ende vor allem blanker Hass und Verachtung zum Vorschein kamen. Soweit lässt es Oscar-Preisträger Jonathan Demme nicht kommen. In „Rachels Hochzeit“, immerhin seinem ersten Spielfilm seit über vier Jahren, ist der familiäre Zusammenhalt trotz manch hart ausgetragener Aussprache nie wirklich in Gefahr.
Obwohl der Titel etwas anderes vermuten lässt, ist nicht Rachel (Rosemarie DeWitt) sondern ihre jüngere Schwester Kym (Anne Hathaway) die eigentliche Hauptfigur der Geschichte. Kym ist zugleich das schwarze Schaf der Familie. Schon früh fing sie an, exzessiv zu trinken und Drogen zu nehmen – mit verheerenden Folgen. Anders als ihre Schwester fühlte sie sich zudem oft missverstanden und ausgegrenzt. Nun heiratet diese Schwester und Kym darf aus diesem Anlass für einige Tage die Entzugsklinik verlassen. Wieder zu Hause dauert es nicht lange, bis erneut ein Streit zwischen ihr und Rachel ausbricht. Auch die ständige Überwachung durch den Vater (Bill Irwin), sein Misstrauen ihr gegenüber, lässt in Kym ein ungutes Gefühl aufkommen. Dass sie kaum einen Schritt unbeobachtet tun kann und sich alles wieder einmal nur um Rachel dreht, ist für sie eine äußerst schmerzhafte Erfahrung.

Anders als einer Lee Holloway – Maggie Gyllenhaals Charakter aus „Secretary“ – fehlt Kym ein Ventil, um die eigene Angst kontrolliert abzulassen. Stattdessen tritt sie die Flucht an, in der vagen Hoffnung zumindest bei ihrer Mutter (Debra Winger) auf Verständnis und Zuspruch zu treffen. Währenddessen laufen die Vorbreitungen für die Hochzeit mehr oder weniger nach Plan. Irgendwann ist auch Kym wieder zurück und die Feierlichkeiten können beginnen.

Die stilistische Nähe zu den Arbeiten der Dogma-Reihe ist in „Rachels Hochzeit“ in jeder Szene evident. Der zuletzt als Dokumentar- und Konzertfilmer tätige Demme setzt auf eine bewegliche Handkamera und verzichtet dabei gänzlich auf künstliches Licht sowie klassische Filmmusik. Der hieraus resultierende Heimvideo-Touch, das Gefühl der Authentizität, weil man glaubt, als Gast einer echten Hochzeit beizuwohnen, produziert mitunter jedoch auch eine Menge Leerlauf. So reiht sich beim „Probeessen“ am Vorabend der Hochzeit eine langweilige Tischrede an die nächste. Die ganze Szene scheint kein Ende nehmen zu wollen, was zwar realistisch sein mag, gleichzeitig die Geduld des Zuschauers aber auf eine harte Probe stellt. Auch die eigentliche Hochzeit wird von Demme mit Aufnahmen des tanzenden Party-Volks unnötig in die Länge gezogen. Insgesamt ließe sich der Film problemlos um über eine halbe Stunde kürzen, ohne dass damit irgendein Substanzverlust verbunden wäre.

Interessant wird es immer, wenn Demme sich von seinen Ambitionen als Hochzeits-Dokumentarfilmer löst und Kyms Gefühlswelt in den Mittelpunkt rückt. Die zumeist auf unverfängliche Komödien abonnierte Anne Hathaway dankt es ihm mit einer zerbrechlichen Darstellung, in der sich die ganze Unsicherheit und Verletzlichkeit ihres Filmcharakters widerspiegelt. Kym hat bei aller vorgeschobenen Coolness nämlich bis heute mit einer schweren Schuld zu kämpfen, deren Ursache erst allmählich enthüllt wird. Souverän meistert Hathaway das enorme Pensum emotionaler Höhen und Tiefen. Selbst wenn letztlich so mancher Konflikt in der ausgelassenen Party-Stimmung untergeht, ist der Film weit davon entfernt, seinen Figuren ein verlogenes Happy End aufzuzwingen. Als Kim wieder in die Entzugsklinik aufbricht, warten viele Wunden weiterhin auf ihre Heilung.

Marcus Wessel

Kym kommt nach längerer Zeit zur Hochzeit ihrer Schwester Rachel nach Hause zurück. Doch sie kommt nicht irgendwo her, sondern aus einer Entziehungseinrichtung. Alkohol oder Drogen. Warum?

Vor Jahren sollte sie auf ihren kleinen Bruder Ethan aufpassen. Aber sie war völlig zugedröhnt. Ethan ertrank. Verständlicherweise hat Kym es nie geschafft, dieses Unglück zu überwinden.

Jetzt also die Hochzeit auf typisch amerikanische Art. Viele Freunde und Gäste, Musiker, Hochzeitsplaner, tagelange Vorbereitungen, „Probeessen“, Festzelt, Dekoration, Hektik.

Kym hat ihr Gleichgewicht nie mehr gefunden. Besonders das Verhältnis zu Rachel ist nicht das beste. Diese fühlt sich zurückgesetzt, Kym ihrerseits glaubt ständig, sich entschuldigen, rechtfertigen und auch schützen zu müssen. Sie ist gereizt, fast bösartig. Dauernd kommt es zu Auseinandersetzungen mit Rachel. Der Vater Paul hat alle Hände voll zu tun, die Streitigkeiten zu schlichten.

Dann die Heiratszeremonie und die anschließende Feier. Es ist ein großes, ausgiebiges Fest – Empfang, Musik, Tanz, Diskussionsgrüppchen. 

Kym wird nach dem Heiratstrubel wieder abreisen. Ein wenig Hoffnung besteht – auf einen Arbeitsplatz, auf eine neue Liebe mit Freund Kieran, auf die wieder aufkeimende Liebe zu ihrer Schwester.

Jonathan Demme hat da auf der Grundlage eines bereits prämierten Drehbuches von Jenny Lumet – Tochter von Sidney Lumet – einen sehr lebendigen, fast dokumentarisch-authentischen Film gedreht. Höhepunkte sind neben dem oft improvisierten, aber gekonnt präsentierten Ablauf des Ganzen die Schilderung der inneren und äußeren Nöte Kyms, die Auseinandersetzungen mit der Schwester, die Dialoge, die Hochzeitsreden vor allem beim Probeessen. Man ist gerne dabei.

Gespielt ist das fabelhaft. Anne Hathaway ist Kym. Seit „Der Teufel trägt Prada“ ist sie eine begehrte Besetzung. Und auch in diesem Film spürt man warum. Die Golden-Globe-Nominierung war kein Zufall. Gut dabei auch Rosemarie DeWitt als Rachel sowie Bill Irwin als den Ausgleich suchenden Vater Paul. Und endlich wieder die lange vermisste, aparte Debra Winger (hier als Pauls geschiedene Frau Abby). 

Wer zwei anregende Kinostunden sucht, ist hier richtig.

Thomas Engel