Regeln der Gewalt, Die

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Mit "Die Regeln der Gewalt" gibt Scott Frank, Drehbuchautor der beiden Elmore Leonard-Verfilmungen Out of Sight und Get Shorty, sein Regiedebüt. Die offenkundig vom Film Noir beeinflusste Geschichte um einen reichlich banalen Banküberfall besticht durch ihre ausgeklügelte Charakterzeichnung, die zwischenzeitlichen Längen äußerst elegant zu kaschieren weiß. Jungstar Joseph Gordon-Levitt brilliert nach seiner ähnlich gelagerten Rolle in Brick einmal mehr als melancholischer, depressiver Anti-Held, der schwer unter der Last seiner Vergangenheit zu tragen hat.

Webseite: thelookout-movie.com

The Lookout
USA 2007
Regie & Drehbuch.: Scott Frank
Produktion: Gary Barber, Roger Birnbaum, Laurence Mark, Walter F. Parkes
Mit Joseph Gordon-Levitt, Jeff Daniels, Matthew Goode, Isla Fisher, Carla Gugino, Bruce McGill
Filmlänge: 98 Minuten
Verleih: Buena Vista
Kinostart: 13.9.2007

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Wenn Chris (Joseph Gordon-Levitt) morgens aufwacht, benötigt er zunächst einige Minuten, um sich zu orientieren. Seit einem tragischen Verkehrsunfall, bei dem zwei seiner Freunde starben und den er zu verantworten hat, leidet er unter den Folgen einer schweren Kopfverletzung. Chris muss sich Dinge aufschreiben, damit er sie nicht vergisst. Er wirkt oft geistig abwesend, in sich gekehrt und verschlossen. Auch wenn er immer wieder die Rückkehr in ein normales Leben probt, seine Versuche sind zumeist zum Scheitern verurteilt. Nur sein blinder Zimmergenosse Lewis (Jeff Daniels) hält zu ihm. Erst als Chris in einer Bank einen Job als Putze annimmt, soll sich daran etwas ändern. Plötzlich interessiert sich ein früherer Mitschüler (Matthew Goode) für ihn. Dieser plant in das Geldhaus einzubrechen, wobei Chris ihm behilflich sein soll.
 

Von da an wandelt The Lookout auf den Pfaden eines typischen Heist-Movies. Auf Planung und Durchführung folgt die unvermeintliche gewalttätige Eskalation des Coups. So lässig und fast schon nebensächlich Regisseur und Autor Scott Frank allerdings seinen Plot ausrollt, drängt sich der Verdacht auf, dass es ihm auf den Überfall – ganz im Gegensatz zu anderen Vertretern des Heist-Genres – überhaupt nicht ankommt. Er nutzt vielmehr ein Tableau, das seit Jean-Pierre Melvilles Drei Uhr nachts bereits unzählige Male zu Aufführung kam, für eine sehr intime Geschichte über den Umgang mit persönlicher Schuld und Verantwortung. Sein Hauptcharakter, ein einst talentierter Eishockeyspieler, dem eine große Karriere vorausgesagt wurde, und der sich jetzt nach einem selbstverschuldeten Autounfall als emotionaler und körperlicher Krüppel mit Aushilfsjobs über Wasser hält, erinnert wohl nicht ganz zufällig an die abgewrackten Anti-Helden des Film Noir auf.

Überhaupt weist The Lookout in seiner Dramaturgie und Personenkonstellation zahlreiche Parallelen zu den Filmen der Schwarzen Serie auf. Auch hier schlägt der Plot kleinere und größere Haken, taucht eine geheimnisvolle Femme fatale (Isla Fisher) auf und kommt es am Ende zu einem blutigen alles entscheidenden Showdown. Dabei hebt sich Scott Franks Regiedebüt gerade in Punkto Charakterzeichnung wohltuend vom Gros der durchgestylten aber oftmals inhaltsleeren Neo-Noirs ab.

Bis nach über einer Stunde der eigentliche Coup anläuft, passiert auf der Handlungsebene kaum etwas. Stattdessen spielt sich die gesamte Action in Chris Innerem ab. In einer Schlüsselszene versucht er, mit dem, was gewesen ist und was sich nicht mehr ändern lässt, klar zu kommen. Über ihm leuchtet währenddessen die Silhouette eines Kreuzes, was den für die Geschichte integralen Schuld- und Buße-Gedanken in nur einem Bild zusammenfasst. Später dann, als Chris gezwungen ist, unter Druck zu funktionieren, schreit er seinem Peiniger die Worte „I Have the Power!“ entgegen, was durchaus auch an die Adresse seiner eigenen Dämonen gerichtet zu sein scheint.

Franks Vergangenheit als Drehbuchautor, seine Erfahrung bei der Ausarbeitung einer in sich widersprüchlichen Figur hilft The Lookout über die Ereignislosigkeit seines Mittelteils hinweg. Das und Joseph-Gordon Levitts erneut beeindruckende Darstellung eines melancholischen Einzelgängers. In seiner Langzeitwirkung ist das Ergebnis dem meisten, was unter dem Etikett des „modernen Spannungs-Kinos“ vermarktet wird, zweifellos überlegen.

Marcus Wessel