Rock my Heart

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Von „Ostwind“ über „Bibi & Tina“ bis hin zu „Wendy“ starten aktuell regelmäßig Pferdeabenteuer in den heimischen Kinos. Regisseur Hanno Olderdissen („Familie verpflichtet“) und Drehbuchautor Clemente Fernandez-Gil („Frau Ella“) variieren das übliche Genrerezept, das die Verbindung zwischen Reiterin und Pferd oft märchenhaft verklärt, zu einem vergleichsweise bodenständigen Jugendfilm, der auch als eindringliches Krankheitsdrama funktioniert. Der realistische Einblick in den Galopprennsport und das charmante Zusammenspiel zwischen der Newcomerin Lena Klenke und Dieter Hallervorden tun das Übrige.

Webseite: www.wildbunch-germany.de

Deutschland 2017
Regie: Hanno Olderdissen
Drehbuch: Clemente Fernandez-Gil, Hanno Olderdissen
Darsteller: Lena Klenke, Dieter Hallervorden, Emilio Sakraya, Annette Frier, Johann von Bülow, Michael Lott, Milan Peschel, Anneke Kim Sarnau
Laufzeit: 110 Min.
Verleih: Wild Bunch, Vertrieb: Central
Kinostart: 28. September 2017

FILMKRITIK:

Die 17-jährige Jana (Lena Klenke) leidet an einem schweren Herzfehler. Doch eine riskante, möglicherweise lebensrettende Operation lehnt sie zur Sorge der Eltern (Annette Frier, Michael Lott) und ihres ebenfalls herzkranken Schwarms Samy (Emilio Sakraya) entschieden ab. Stattdessen will sie ihr Leben genießen, so lang es eben dauert. Als Jana im maroden Rennstall von Paul Brenner (Dieter Hallervorden) den scheuen Vollbluthengst Rock My Heart kennen lernt, schließt die Teenagerin das eigensinnige Tier schnell ins Herz und willigt ein, bei einem hoch dotierten Derby anzutreten. Ein Sieg könnte Brenners Hof aus den Schulden hieven, doch schon das Training mit Paul setzt Jana einem hohen gesundheitlichen Risiko aus.
 
Einerseits bedient „Rock My Heart“ bekannte Standardmotive aus Pferdeabenteuern: Wieder steht ein Reiterhof finanziell in der Kreide, erneut könnte ein Preisgeld die Rettung bringen, abermals emotionalisiert Popmusik die besondere Verbindung zwischen Reiterin und Wunderpferd. So weit, so normal. Andererseits wirkt der Jugendfilm aber ernsthafter und realitätsnaher als andere Genrevertreter. Das übliche Freiheitsthema trifft auf eine teils kritische Darstellung des Galoppsports, wenn Jana den Einsatz der Gerte verurteilt (fünf mal dürfen Jockeys auf der Zielgeraden zuschlagen) oder den Aufnahmetest als Amateur-Rennreiterin bestehen muss. Um ihr Ziel zu erreichen, schlägt Jana den ärztlichen Rat, auf viel Bewegung und einen erhöhten Puls zu verzichten, trotzig in den Wind, und setzt auf eigene Faust ihre Herzmedikamente ab. Wie das kämpferische Mädchen durch die besondere Verbindung zum dreijährigen Hengst neuen Lebensmut schöpft und schließlich ihre Gefühle für den sympathischen Samy zulässt, stellen Olderdissen und Fernandez-Gil in einer glaubhaften Charakterentwicklung dar.
 
Überhaupt stehen die Belange der menschlichen Figuren hier mehr im Mittelpunkt als in Pferdeabenteuern üblich, wo sie oft nur als Vehikel für möglichst viele Szenen mit den majestätischen Reittieren erscheinen. Pauls nach und nach aufgedeckte Vergangenheit und Janas Beziehung zu Samy wecken Neugier auf den jeweiligen Fortgang, Janas Eltern agieren als besorgte Erziehungsberechtigte hingegen im Hintergrund.
 
Die 1995 geborene Lena Klenke, die ihr Debüt im Kriminalthriller „Das letzte Schweigen“ gab und aus „Fack ju Göhte“ bekannt ist, stemmt die Hauptrolle mit Bravour und besteht mühelos neben dem 60 Jahre älteren Dieter Hallervorden, der längst vom klamaukigen ins dramatische Fach gewechselt ist. Für seine Performance als gealterter Marathonläufer in „Sein letztes Rennen“ erhielt er 2013 den Deutschen Filmpreis, in „Honig im Kopf“ und „Ostfriesisch für Anfänger“ ließ er weitere ernsthafte Rollen folgen. Als gealterter Rennstallbesitzer steuert Hallervorden eine gewisse Melancholie bei, die gut zum dramatischen Ton des sehenswerten Jugendfilms passt.
 
Christian Horn