Room 237

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1977 erschien mit „Shining“ der populärste Roman von Stephen King. Unter Generationen von Lesern verbreitete er Angst und Schrecken. Als Stanley Kubricks Verfilmung 1980 in die Kinos kam, waren nicht nur der Autor, sondern auch viele seiner Leser enttäuscht. Über die Jahre aber versammelte der Film eine große Kultgemeinde hinter sich. In Rodney Aschers Dokumentation breiten fünf Fans wortgewaltig aus, was sie alles in „Shining“ zu entdecken glauben. Dabei entwickelt „Room 237“ selbst halluzinogene Qualitäten und kommt zu überraschenden Einsichten über Filmleidenschaft und Obsession.

Webseite: www.237movie.com

USA 2012
Buch und Regie: Rodney Ascher
Produktion: Tim Kirk
Länge: 102 Minuten
Verleih: Rapid Eye
Kinostart: 19. September 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Was fand das große Kino-Genie Stanley Kubrick nur an einem Horror-Roman? Viele Kritiker konnten 1980 nicht verstehen, warum der Regisseur epochaler Literaturverfilmungen wie „2001 - Odyssee im Weltraum“ und „A Clockwork Orange“ sich nun ausgerechnet auf Stephen King stürzte, dessen Bücher zwar als effektiv, aber eben doch recht trivial eingestuft wurden. Entsprechend enttäuscht fielen die meisten Kritiken aus. Kubrick sei weit unter seinen Möglichkeiten geblieben, so der Konsens. Und King selbst schäumte, hatte Kubrick seinen Roman doch radikal verändert. Ob im Overlook Hotel übernatürliche Kräfte am Werk waren, oder ob der Horror aus dem Wahnsinn der Figuren entstand, das war im Film nicht mehr zu unterscheiden. Furcht einflößend war „Shining“ deshalb umso mehr, und kein Zuschauer vergaß jemals mehr die Performance von Jack Nicholson als verrückt gewordener Jack Torrance, der seine Familie in einem von der Außenwelt abgeschnittenen Berghotel durch die Gänge jagt.

Für einige Kubrick-Exegeten ist „Shining“ aber mehr als ein effektvoller Horrorfilm, der auf eine Geisterbeschwörung verzichtet und das Grauen geschickt sublimiert. Für sie versteckte der Meister hier auch planvoll geheime Botschaften. Der TV-Journalist Bill Blakemore etwa ist davon überzeugt, Kubrick habe in Wahrheit den Genozid an den Indianern verarbeitet - unter anderem, weil er wiederholt Dosen mit Backpulver ins Bild setzt, auf der ein Indianer abgebildet ist. Der Historiker Geoffrey Cocks, Experte für die Nazizeit in Deutschland, sieht in „Shining“ eindeutige Verweise auf die Ermordung der Juden, zum Beispiel weil Jack Torrance mit einer deutschen Schreibmaschine arbeitet. Und der Verschwörungstheoretiker Jay Weidner ist davon überzeugt, dass Kubrick Hinweise darauf einbaut, dass in Wahrheit er die Landung von Apollo 11 auf dem Mond im Studio inszenierte.

Keiner dieser „Shining“-Verrückten ist je im Bild zu sehen. Ascher montiert seinen Film aus Ausschnitten, die ihre Entdeckungen bebildern, und vielen anderen Filmschnipseln aus Kubricks Werk und anderen Klassikern wie „Trommeln am Mohawk“ und „Die Unbestechlichen“. Sein Film wird selbst zu einer großen Kino-Maschine, die in ein unübersichtliches Universum voller Geheimnisse und doppelter Bedeutungen führt. Nichts ist hier, wie es scheint, überall lauert eine weitere Überraschung.

Ascher macht sich mit seiner Methode leicht angreifbar, denn er scheint sich nie von den Aussagen seiner Protagonisten zu distanzieren, so haarsträubend sie auch sein mögen. Ironie? Fehlanzeige. Aber im Verlauf des Films wird eine Ton-Bildschere immer deutlicher. Beim besten Willen vermag man in einem Poster, das einen Skifahrer abbildet, keinen Minotaurus zu erkennen, wie ein Fan eifrig erklärt. Immer mehr zeigt „Room 237“, wie „Shining“ zum Irrgarten der Interpretation wird, in den alles hineingelesen werden kann. Der Film entwickelt selbst fast so etwas wie Horror, denn er zeigt die Gedankenwelt von intelligenten Menschen, die sich in ihrer eigenen Welt so verlaufen haben, dass sie überall Verschwörungen wittern. Aus „Shining“ glauben sie den Sinn hinaus lesen zu können, der unserem oft so uneindeutigen Leben abhanden kommen kann. So wird „Room 237“ letztlich zu einem faszinierenden, soghaften Dokument der Angst.

Oliver Kaever