Rot und Blau

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Als Gegenentwurf zu knalligen Pennälerklamotten und schonungslos geißelnden Schuldramen präsentiert Giuseppe Piccioni seinen Film um den Alltag von Lehrern und Schülern als sanfte, beinahe philosophisch angehauchte Geschichte, in der es vor allem um Hoffnung geht: Drei unterschiedliche Lehrkräfte – der in Ehren und Zynismus ergraute Fiorito, der Junglehrer Prezioso und ihre Direktorin – arbeiten in einer ganz normalen römischen Oberschule und finden sich in unerwarteten Situationen wieder, die ihre Einstellung zum Lehrerberuf auf die Probe stellen. Mit sehr guten Darstellern, unter anderem mit der tollen Margherita Buy, bringt der mehrfach dekorierte unterhaltsame Film eine schön ausgedachte, optimistische Geschichte mit durchaus überraschenden Wendungen.

Webseite: www.kairosfilm.de

Originaltitel: Il rosso e il blu
Italien 2012
Drehbuch: Giuseppe Piccioni, Francesca Maniero (nach einem Roman von Marco Lodoli)
Regie: Giuseppe Piccioni
Darsteller: Margherita Buy, Riccardo Scamarcio, Roberto Herlitzka, Silvia d’Amico, Davide Giordano, Ionut Paun, Nina Torresi
97 Minuten
Verleih: Kairos
Kinostart: 10. September 2015
 

Preise/Auszeichnungen:

Filmfestival Bari: Bestes Drehbuch
Italienischer Filmpreis „David de Donatello“: Bester Darsteller Roberto Herlitzka

FILMKRITIK:

Kaum tritt der junge Lehrer Giovanni Prezioso seinen ersten Job in der Schule an, wird er schon mit unangenehmen Tatsachen konfrontiert: Seine Direktorin erweist sich als kleinkarierte Bürokratin, und sein alter Kollege Fiorito ist ein unzugänglicher, mauliger Zyniker. Preziosos Klasse ist, wie von 16-Jährigen kaum anders zu erwarten, ein ziemlich chaotischer Haufen mehr oder weniger pubertierender Ignoranten, die sich für alles andere mehr interessieren als für den Unterricht.
 
Aber Achtung! Denn gerade als sich die Geschichte auf einer altbekannten Schiene einzurichten droht à la „idealistischer Pauker motiviert jungschnöselige Handytrottel zu Bildung und Wissen“, legt der Film erst richtig los und erzählt neben Preziosos Geschichte auch die von Fiorito und ihrer gemeinsamen Chefin. Der alte Mann ist ein Philosoph, der sich wenig um Regeln kümmert und seinen Stiefel durchzieht. Er raucht im Unterricht, wenn ihm danach ist, und führt ein schulisches Dasein als origineller Einzelgänger. Privat ist er vollkommen vereinsamt – er lebt nur mit seinen Büchern. Doch der Kontakt zu einer ehemaligen Schülerin bringt ihn zum Nachdenken und verändert ihn. Auch die gestrenge Direktorin erlebt, welche Überraschungen das Lehrerleben bereithalten kann: Eines Morgens findet sie einen Schüler, der in der Turnhalle übernachtet hat. Er ist krank, sie bringt ihn ins Krankenhaus – so weit, so pflichtbewusst. Doch als sie erfährt, dass der Junge von seiner Mutter verlassen wurde, erwacht ihr Beschützerinstinkt und sie beginnt sich um ihn zu kümmern …
 
Nichts ist, wie es scheint, könnte die Botschaft des Films lauten. Alles kann sich jederzeit ändern. Dies gilt nicht nur für das Leben an sich, sondern ebenso für die Schule als Mikrokosmos, wo ständig vollkommen unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen. Hier kreuzen sich die Wege von jungen Leuten, die Träume haben und neugierig sind aufs Leben, mit denen von Erwachsenen, die glauben, schon alles zu wissen, und die sich ihre Komfortzone geschaffen haben oder schaffen wollen, aus der sie sich nur ungern aufschrecken lassen. Beide Gruppen machen Fehler, aus denen sie (hoffentlich!) manchmal lernen. Prezioso muss erfahren, dass er nicht in Schablonen denken sollte, so wie Fiorito feststellt, dass er als Lehrer doch mehr bewirkt hat, als er dachte. Und die Direktorin findet durch ihren Schützling zu einer neuen Herzlichkeit, die sie schon lange verloren glaubte.
 
Mit sanftem, leichtem Humor, ganz ohne vordergründige Albernheiten erzählt Giuseppe Piccioni seine lebensnahe Geschichte, in der vieles unausgesprochen bleibt. Ein paar Gags (Achtung, der letzte folgt im Abspann!) lassen eher schmunzeln als kichern. Die Atmosphäre bleibt angenehm leicht, manchmal ein wenig melancholisch, dennoch optimistisch. Margherita Buy ist die Direktorin – sportlich praktisch in Erdfarben gekleidet steht sie für das alltägliche Einerlei des Schulbetriebs. Den Weg von der herzlosen Pedantin zur mütterlichen Freundin geht sie so ganz nebenbei und in beinahe unmerklichen kleinen Schritten. Dabei bleibt sie die taffe Chefin, so wie auch die beiden Lehrer ihre Veränderungen durchleben und dabei sich selbst treu bleiben dürfen. Wunderbar schräg und dennoch glaubwürdig spielt Roberto Herlitzka den alten Fiorito und balanciert tragikomisch kunstvoll zwischen liebenswert kauzigem Pauker und verzweifeltem Einzelgänger. Riccardo Scamarcio hat die dankbare Rolle des Junglehrers, der alles richtig machen will. Sein Idealismus gerät angesichts der Schluffigkeit seiner Schüler schnell ins Wanken, aber letztlich merkt er doch, dass er genauso von ihnen lernen kann wie sie von ihm.
 
Giuseppe Piccioni verzichtet auf Knalleffekte und erzählt unauffällig, aber wirkungsvoll ein paar kleine Geschichten, die direkt aus dem Leben gegriffen sein könnten und es wahrscheinlich auch sind, denn der Autor der Romanvorlage ist selbst Lehrer und hat über seine Erfahrungen geschrieben. Geschickt werden die einzelnen Handlungsstränge zu einer warmherzigen Story verwebt, die mit angenehmem Understatement von der Schule als moralische Anstalt für sämtliche Beteiligten erzählt: ein Ort, wo sich Wünsche, Träume und Hoffnungen vieler Menschen unter einem Dach versammeln. Das Ergebnis ist ein sympathischer, kleiner Film, der Optimismus verbreitet.
 
Gaby Sikorski