Schachnovelle

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Von den vielen berühmten Texten, die Stefan Zweig verfasst hat, ist „Schachnovelle“ wohl der bekannteste, über eine Millionen Mal verkauft und dank seiner Kürze beliebter Stoff im Deutsch-Leistungskurs. Dort könnten bald die Unterschiede in der filmischen Adaption herausgearbeitet werden, die Philipp Stölzl zu einem gediegenen und vor allem schauspielerisch überzeugenden Film formt.

Website: www.studiocanal.de/kino/schachnovelle

Deutschland 2020
Regie: Philipp Stölzl
Buch: Eldar Grigorian, nach der Novelle von Stefan Zweig
Darsteller: Oliver Masucci, Albrecht Schuch, Birgit Minichmayr, Andreas Lust, Rolf Lassgård, Samuel Finzi
Länge: 110 Minuten
Verleih: Studio Canal
Kinostart: 23.9.2021

FILMKRITIK:

Wien, 1938. Der Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland steht kurz bevor, der Notar Josef Bartok (Oliver Masucci) versucht mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr), die Gefahr einfach weg zu tanzen, denn solange Wien tanzt, kann die Welt nicht untergehen. Doch das insistieren eines Freundes macht ihm Sorge, in seiner Kanzlei vernichtet er gerade noch Papiere, bevor er verhaftet wird.

Betont distinguiert versucht sich der Gestapo-Mann Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch) zu geben, bietet Bartok beim Verhör Zigaretten und guten Scotch an, doch auf eine Schachpartie will sich Bartok nicht einlassen: Das sei nur etwas für preußische Generale. Nach Monaten der Einzelhaft ändert sich jedoch seine Meinung, durch Zufall fällt ihm ein Buch in die Hand, endlich ein Buch, endlich wieder geistige Nahrung! Doch der kleine Band erweist sich als Sammlung von Schachpartien, die Bartok bald zum besessenen Spieler machen, der sich im Schach verliert – und dabei auch zunehmend den Verstand.

Derweil befindet sich Bartok auf einem Ozeandampfer von Rotterdam nach New York, zusammen mit Anna, aber auch dem Weltmeister im Schach, einem kauzigen Ungarn, der kaum ein Wort spricht, aber brillant Schach spielt. Bald kommt es zum Duell, doch immer deutlicher wird für Bartok, dass er nicht gegen einen äußeren, sondern einen inneren Gegner kämpft.

Erstaunlicherweise wird im Film „Schachnovelle“ kaum Schach gespielt, was vielleicht auch nicht so erstaunlich ist, bietet sich das Spiel der Könige – dem Erfolg der Netflix-Serie „Das Damengambit“ zum Trotz – doch nur sehr bedingt fürs visuelle Erzählen an. Erst ganz zum Ende von Philipp Stölzls Adaption kommt es also zu einem Duell, an dem nicht nur zwei, sondern in gewisser Weise drei Personen teilnehmen. Und an dessen Ende, also auch am Ende des Films, es eine ganz klare Auflösung gibt.

Und das ist das größte Manko einer durch und durch gediegenen Adaption: Sie bringt Dinge auf den Punkt, die in der Novelle nur angedeutet waren, sie schafft Klarheit, wo ursprünglich Ambivalenz war. Natürlich – man muss es kaum betonen – ist Oliver Masucci hervorragend als anfangs lebenslustiger Wiener, der durch die Mühlen der Nazis gedreht wird und als gebrochener Mann herauskommt. Und auch Albrecht Schuch überzeugt, ebenso wie Birgit Minichmair, deren Rolle in der Novelle nicht existiert und wohl hinzugefügt wurde, damit ein 110 Minuten langer Film nicht gänzlich ohne substanzielle weibliche Rolle auskommt.

Philipp Stölzls Regie bemüht sich um düstere Atmosphäre, die Ausstattung bleibt passend in dunklen Tönen verhaftet, die Kamera von Thomas W. Kiennast wählt oft verkantete Winkel, betont die Enge der Räume, die zunehmende Enge in Bartoks Kopf. Gediegenes Handwerk ist das durch die Bank, das beweist, dass auch in Deutschland teure Produktionen entstehen können, die sich zumindest stilistisch nicht hinter der internationalen Konkurrenz verstecken muss. Doch inhaltlich bleibt „Schachnovelle“ zu bemüht, zu auserzählt, um mehr zu sein, als eine beflissene Adaption von Stefan Zweigs Novelle.

Michael Meyns