Schmetterling und Taucherglocke

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Die Geschichte des früheren „Elle“-Chefredakteurs Jean-Dominique Bauby, der nach einem plötzlichen Schlaganfall nur noch das linke Augenlid bewegen konnte, schien für eine Verfilmung denkbar ungeeignet. Dennoch wagte sich Multitalent Julian Schnabel an die Umsetzung. Zusammen mit Kameramann Janusz Kaminski entwarf er ein bahnbrechendes visuelles Konzept, das Baubys Krankheit – so weit es das Medium überhaupt zulässt – für den Zuschauer erfahrbar macht. Trotz seines schweren Sujets ist Schmetterling und Taucherglocke vor allem eines: Eine Liebeserklärung an das Leben.

Webseite: www.schmetterling-und-taucherglocke.de

OT: Le Scaphandre et le Papillon
USA/F 2007
Regie: Julian Schnabel
Drehbuch: Ron Harwood nach den Memoiren von Jean-Dominique Bauby
Mit Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Anne Consigny, Max von Sydow
Laufzeit: 112 Minuten
Kinostart: 27.3.2008
Verleih: Prokino (Fox)

PRESSESTIMMEN:

 

Wunderbar zartes Kino, gleichermaßen komisch wie todtraurig, ohne falsches Pathos. Und dem grandiosen Hauptdarsteller Mathieu Amalric genügt ein Wimpernschlag, um uns ein ganzes Leben zu zeigen, das nur noch im Kopf stattfinden kann. 
Brigitte

Kunstvoll komponiert, bewegend und niemals sentimental.
KulturSPIEGEL

Ein Meisterwerk... von geradezu überwältigender Schönheit, von einem ungeheuren visuellen Einfallsreichtum.
Neue Zürcher Zeitung

Ein echtes Erlebnis: Näher kann man einem Menschen und seinem (Innen)Leben im Film kaum kommen.
Cinema

FILMKRITIK:

Für Jean-Dominique Bauby ändert sich sein gesamtes Leben von einer Sekunde zur nächsten. Eben noch fährt der Chefredakteur des Modemagazins „Elle“ unbeschwert in seinem neuen, schicken Cabriolet umher, als er plötzlich einen massiven Schlaganfall erleidet. Erst zwei Wochen später wacht er aus dem Koma im Krankenhaus Berck-sur-Mer wieder auf. Schnell steht er fest, dass er nicht nur stumm sondern auch von Kopf bis Fuß gelähmt ist. Nur sein linkes Augenlid kann er noch bewegen und auf diesem Weg zu seiner Umwelt Kontakt aufnehmen. Nachdem der erste Schock allmählich verflogen ist, fasst er einen ungewöhnlichen Entschluss: Er will seine Autobiographie verfassen, nur mit der Kraft seines Augenlids und einem speziell für ihn entwickelten Alphabet, auf das er lediglich mit einem Blinzeln antwortet. Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Seite für Seite lässt er sein Leben Revue passieren.
Nur wenige Tage, nachdem die Memoiren unter dem Titel Schmetterling und Taucherglocke – die Bedeutung erschließt sich nach Ansicht des Films – erschienen, starb Bauby im März 1997 an Herzversagen. Der renommierte New Yorker Künstler Julian Schnabel, der zuvor mit Basquiat und Bevor es Nacht wird bereits zwei Filme über äußerst schwierige Charaktere inszeniert hatte, nahm sich der Herausforderung an, Baubys Erinnerungen in eine filmische Form zu gießen. Basierend auf dem Drehbuch von Ron Harwood entwickelte er mit Spielbergs Hauskameramann Janusz Kaminski (Schindlers Liste, München) ein außergewöhnliches visuelles wie inhaltliches Konzept.

Anfangs nehmen wir die Welt nur aus Baubys Blickwinkel wahr. Wir sehen, was auch Bauby sah, als er aus dem Koma erwachte. Gleißendes Licht, unterschiedliche Farbpunkte, unscharfe Konturen, hallende Stimmen und Geräusche, die Mal lauter und Mal leiser zu hören sind. Dazu ein mehr als eingeschränkter Blickwinkel aus dem Krankenbett heraus. Wir müssen uns in dieser unwirklichen Situation erst zurechtfinden und uns an die subjektive Kameraperspektive gewöhnen. Erst mit der Zeit will das gelingen. Schnabel und Kaminski testen und experimentieren, wie weit sie dabei gehen können. Sogar als Bauby das rechte Auge zugenäht wird, was eine Infektion verhindern soll, verharrt der Film in der Ich-Perspektive. Hierbei stellt sich recht schnell ein klaustrophobisches Gefühl ein, ganz so, als sei man lebendig begraben. Konterkariert wird diese Enge von Baubys Kommentaren und Gedankengängen, die nicht selten neben aller Tragik auch ungemein komisch und absurd sind. So wecken die akrobatischen Zungenübungen seiner überaus attraktiven Logopädin (Marie-Josée Croze) in ihm ungewollt ein sexuelles Verlangen.

Im weiteren Verlauf ändert Schmetterling und Taucherglocke dann jedoch immer öfter den Blickwinkel. In Rückblenden erinnert sich Bauby an die Höhen und Tiefen seines bewegten, rastlosen Lebens. An Aktivitäten mit den Kindern, verflossene Beziehungen und Gespräche mit seinem Vater (Max von Sydow), zu dem er ein besonders inniges Verhältnis hatte. Nachdem wir die Welt zunächst durch seine Augen wahrgenommen haben, blicken wir in diesen Momenten tief in seine Seele und sehen, was ihm wichtig war. Schnabel, der für seine couragierte Vision bereits mit dem Regie-Preis in Cannes und unlängst auch mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde, baut eine Brücke zwischen Bauby und uns Zuschauern. Ohne auf weinerliche Taschentuch-Melodramatik zu setzen, nähert er sich Baubys mutige Rebellion gegen den eigenen körperlichen Verfall. Der Film – wie schon die Vorlage –  wird so zu einer im Angesicht des Todes verfassten Liebeserklärung an das Leben.

Marcus Wessel

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Jean-Dominique Bauby, Chefredakteur der bekannten Zeitschrift Elle, war ein fähiger, geschäftiger, urbaner, gern gesehener Mann. Von einer früheren Lebensgefährtin hatte er drei Kinder, die er liebte. Alles lief glatt, bis – ja bis zu dem Tag, an dem Bauby von einem Schlaganfall heimgesucht wurde, der alles lähmte, buchstäblich alles. Er konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr schlucken, war von Kopf bis Fuß total auf fremde Hilfe angewiesen. Das eine Auge musste zugenäht werden, mit dem Lid des anderen konnte er gerade noch blinzeln. Und gottlob blieben auch Gehirn und Gehör noch einigermaßen in Ordnung.

Wie diese Trostlosigkeit überwinden? Wie nicht sterben können? Wie diesem kleinen Teil eines Lebens noch einen Sinn geben?

Bauby hatte, bevor das Schicksal zuschlug, vorgehabt, ein Buch zu schreiben. Und mit übermenschlicher Kraftanstrengung versuchte er das in mühevoller Arbeit jetzt doch noch zu tun. Seine Pflegerinnen und Helferinnen erfanden einen möglichen Diktier- und Schreibmodus. Mit Blinzeln buchstabierte der Kranke die Wörter. Ein demütigender, schmerzlicher, langer Versuch. Er gelang. Das Buch wurde fertig. Zehn Tage später starb Jean-Dominique Bauby. Er wurde 43 Jahre alt. 

Julian Schnabel hat diesem „Leben“ eine künstlerisch bedeutende filmische Gestalt und auch einen ideellen Sinn gegeben: den verzweifelten medizinischen Versuchen; der unsäglichen Einsamkeit Baubys; im Rückblick den schönen Begegnungen mit dem Vater und den Kindern; dem Versagen seiner Freundin; der unendlichen Geduld und Hilfe derer, die sich um ihn kümmerten; der bildlich weidlich genützten Phantasie des Dahinsiechenden; den erfindungsreichen impressionistischen Bildern.

Packend die Darsteller Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Jean-Pierre Cassel, Max von Sydow und andere, ergreifend die Schilderung der Lebens- und Leidensgeschichte, künstlerisch hochstehend der ganze Film.

Thomas Engel