Secret Sunshine

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Der vielleicht interessanteste Film aus dem Wettbewerbsprogramm von Cannes 2008: SECRET SUNSHINE. Der Film erzählt von der jungen und selbstbewussten Shin-ae, die nach dem Umzug in eine neue Stadt ihren Sohn verliert und um das eigene psychische Überleben kämpft. Aus der inneren Logik der Personen entwickelt LEE Chang-dong eine Geschichte voller absurder, trauriger und überraschender Wendungen, die so unvorhersehbar und dabei so stimmig ist, dass man das Gefühl hat, sie zum allerersten Mal auf der Leinwand zu sehen.

Webseite: www.rapideyemovies.de

Korea 2007
Regie und Buch: LEE Chang-dong
Kamera: CHO Yong-kyu
Schnitt : KIM Hyun
Darsteller : JEON Do-yeon, SONG Kang-ho, JO Yeong-jin, KIM Mi-kyung
Länge: 142 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Startermin: 16.4.2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Nach dem Tod ihres Mannes zieht Shin-ae mit ihrem 8-jährigen Sohn Jun in das Provinzstädtchen Milyang, um einen neuen Anfang zu machen. Die Stadt, die übersetzt „Secret Sunshine“ heisst, ist eine gesichtslose mittelgroße Stadt, die sich durch nichts auszeichnet und nie im Überblick zu sehen ist. Die Läden, Straßen, Baugrundstücke und Autowerkstatt könnten so in jeder Stadt zu finden sein, die Nachbarn sind neugierig und konservativ, der Himmel selten im Bild. Dennoch macht sich Shin-ae zielstrebig daran, ausgerechnet hier ein neues Leben für sich und Jun aufzubauen.
 

Dann wird Jun entführt und brutal ermordet. Shin-ae bricht innerlich zusammen. Die einzigen Menschen, die in der fremden Stadt ihre Hilfe anbieten, sind Mr. Kim, der Automechaniker, der in sie verliebt ist und ihr ständig folgt, und die Apothekerin von Gegenüber, die sie zum Erweckungsgottesdienst ihrer christlichen Gemeinde einlädt. Auf die ersten Annäherungsversuche hatte Shin-ae noch abweisend reagiert „Hier soll Gott sein? Ich sehe nichts, ich sehe nur einen Sonnenstrahl.“ Jetzt greift sie nach dem angebotenen Strohhalm und wird zur gläubigen Christin. Die überraschende Konversion ist ebenso verständlich wie erschütternd. Ohne jede Polemik erzählt SECRET SUNSHINE von der Sicherheit, die Shin-ae bei den Christen findet, aber auch davon, wie die trügerisch deren Versprechen ist, Schmerz und Wut ließen sich vermeiden, indem man sich an Regeln hält. Auch mitten in der Gemeinschaft der stets demütig und dankbar Lächelnden ist Shin-ae letzten Endes bitterlich allein.

Damit nimmt sich endlich ein kluger Spielfilm des hochaktuellen Themas der evangelikalen Christen an, die auch in Korea eine bedeutende Rolle spielen: seit 1960 hat sich die Zahl der koreanischen Christen, insbesondere Protestanten, in jedem Jahrzehnt verdoppelt. Heute ist Südkorea das asiatische Land mit dem größten Anteil an Christen in der Bevölkerung und der größten Pfingstgemeinde der Welt: der Central Full Gospel Church in Seoul gehören 500.000 Mitglieder an.

Doch das ist nur der Hintergrund. Regisseur LEE Chang-dong interessiert vor allem die psychologische  Entwicklung, die Shin-ae in ihrem Kummer, ihrem Schmerz und ihrer Wut durchlebt. Dabei gönnt er weder seiner großartigen Hauptdarstellerin JEON Do-yeon noch den mitleidenden Zuschauern eine Abkürzung auf dem langen Weg von unerträglich zu (vielleicht) aushaltbar. Dennoch, oder gerade deswegen, ist SCECRET SUNSHINE spannend wie ein Thriller. Zu keinem Zeitpunkt lässt sich vorhersagen, was als Nächstes passieren wird, aber immer ist es vollkommen glaubwürdig. Die Wendungen und Umwege, die Schicksalsschläge und Nebenfiguren überraschen und faszinieren immer wieder aufs Neue, denn ähnlich wie etwa André Téchiné geht es LEE nicht um eine runde Geschichte, oder um billigen Trost, sondern um wahrhaftige Momente.

SECRET SUNSHINE hat jede Menge davon.

Hendrike Bake

LEE Shin-ae hat ihren Mann verloren und zieht nun zum Gedenken an ihn mit ihrem kleinen Sohn Jun in die Provinzstadt, für die ihr Mann ein Faible hatte. Sie will ein neues Leben aufbauen und fängt mit Klavierunterricht für Kinder an.

Nach nicht langer Zeit wird Jun entführt – und getötet. LEE Shin-ae bricht zusammen. Auch ihre Nachbarn und Freunde, darunter KIM Jong-chan, der die Frau gerne für sich hätte, aber erfolglos bleibt, können sie nicht aufrichten.

Trost findet sie schließlich in einer christlichen Gemeinde. Dort, bei Gebet, Gesang und religiösem Zuspruch faßt LEE Shin-ae wieder Mut – sogar so sehr, dass sie nach dem Jesus-Wort „Liebet eure Feinde“ dem Mörder ihres Kindes vergeben will. Sie sucht ihn im Gefängnis auf.

Da erfährt sie aus dessen Mund, dass er bereut und zum Glauben gefunden habe, dass er sich demnach frei und erlöst fühle, dass er seine Ruhe und seinen Frieden gefunden habe.

Der Mörder lebt also in Frieden, und LEE Shin-ae soll als Leidtragende weiter Schmerz empfinden? Ist das gerecht? Ist das der Sinn der „Feindesliebe“? Will das Christentum so etwas? Wie ist das vernunftmäßig auszuhalten? 

LEE Shin-ae bricht erneut zusammen. Das kann sie nicht akzeptieren. Sie verliert beinahe den Verstand. Was geschehen wird, bleibt offen.

In epischer Breite wird das ruhelos gewordene Leben dieser Koreanerin geschildert. In das stimmige äußere Ambiente werden das Leid, die Verzweiflung, die Suche, der Versöhnungswille, die angestrebte Frömmigkeit und der Absturz hineingeworfen. Die Frage der möglichen Vergebung wird zwar in dramatischer Weise aufgeworfen. Beantwortet wird sie nicht.

Zu bewundern ist die schauspielerische Leistung von JEON Do-yeon als LEE Shin-ae. Sowohl in den leisen wie in den lauten Szenen ist sie, von Autor und Regisseur LEE Chang-dong gut geführt, ganz präsent. Sie trägt den Film weitgehend, gibt sich voll und ganz. Zurecht erhielt sie dafür 2007 in Cannes einen Darstellerpreis.

Thomas Engel