Sightseers

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Ein seltsames, frisch verliebtes Working-Class-Pärchen plant eine Rundreise durchs ländliche Yorkshire. Der gemeinsame Urlaub verläuft dann aber anders als gedacht. Nach und nach entpuppen sich beide als sonderbare Psychopathen mit einer recht geringen Hemm- und Toleranzschwelle. Ben Wheatleys schaurige Sozialsatire pflegt selbst für britische Verhältnisse einen überaus schwarzen Humor. Als Eröffnungsfilm des diesjährigen Fantasy Filmfests ernteten „Sightseers“ und seine beiden großartigen Hauptdarsteller viel Applaus.

Webseite: www.mfa-film.de

GB 2012
Regie: Ben Wheatley
Drehbuch: Alice Lowe, Steve Oram
Produktion: Nira Park, Andy Starke, Claire Jones
Darsteller: Alice Lowe, Steve Oram, Eileen Davis, Roger Michael, Tony Way, Seamus O’Neill
Laufzeit: 95 Minuten
Verleih: MFA + Film Distribution
Kinostart: 28. Februar 2013

PRESSESTIMMEN:

...so böse und makaber wie kein anderer Reiseführer durch die englische Provinz.
CINEMA

FILMKRITIK:

Die beiden frischverliebten Tina (Alice Lowe) und Chris (Steve Oram) nur sonderbar zu nennen, wäre vermutlich stark untertrieben. Während sie mit ihren 34 Jahren noch bei ihrer wiederum höchst merkwürdigen Mutter (Eileen Davis) wohnt, führt er ein Leben nach etwas zu rigiden Vorstellungen von Ordnung und organisierter Langeweile. So ist auch die gemeinsame Camping-Reise ins ländliche Yorkshire minutiös geplant. Bei ihren Stopps treffen Tina und Chris immer wieder auf aus ihrer Sicht wenig freundliche Mitmenschen, die sich nicht an bestimmte Umgangsformen halten. Wer anderen den Mittelfinger zeigt oder sich etwas zu vehement über ein Häufchen Hundekot beschwert, muss die Konsequenzen tragen. In der Logik von Chris und Tina fallen diese meist recht radikal aus und so ziehen die beiden Urlauber schon bald eine blutige Spur hinter sich her.

Wer immer schon wissen wollte, was aus „Bonnie & Clyde“ im England des Jahres 2012 geworden wäre, der bekommt von Regisseur Ben Wheatley nun die bitterböse Antwort serviert. „Sightseers“ kümmert sich dabei weder um politische Korrektheit, noch nimmt der Film Rücksicht auf die Befindlichkeiten des Zuschauers. Stattdessen gleicht er einem neunzigminütigen Anschlag auf den guten Geschmack. Jede Ästhetik wurde von Wheatley konsequent aus den Bildern und der wunderbar lakonisch erzählten Geschichte verbannt. Bereits der Einstieg in Tinas von kitschigen Hundebildern und Hundedevotionalien zugestelltem Zuhause lässt einen innerlich erschaudern. Aber auch ihr Traumprinz Chris, ein bärtiger Möchtegernschriftsteller mit – wie sich herausstellt – doch größeren psychischen Problemen, birgt ein überaus dunkles Geheimnis. Zusammen sind sie „creepy as hell“ und Englands ultimative Réplique auf Oliver Stones „Natural Born Killers“.

Waren Mickey und Mallory jedoch hip, cool und schon daher ein schlechter Einfluss, so sind Tina und Chris allenfalls noch zwei sehr spezielle Botschafter eines besonders schlechten Geschmacks. Ihre Sicht auf die Welt schwankt zwischen eigenartig und komplett irre, wobei sich der Wahnsinn hinter biederer Langeweile versteckt. Die beiden Hauptdarsteller Alice Lowe und Steve Oram haben zwei Figuren erschaffen, denen man selber nie begegnen möchte und die doch einen ungemein hohen Unterhaltungswert besitzen. Ihr Working-Class-Killerkommando ist aber mehr als nur ein pathologisches Zerrbild. Tina und Chris wirken abseits aller karikaturhaften Züge bisweilen ziemlich unauffällig und fast unsichtbar. Gleichzeitig besitzt das, was sie tun, aus ihrer Perspektive sogar eine ziemlich bestechende Logik. Gerade diese verquere, unaufgeregt vorgetragene Grundüberzeugung – da wird zwischen zwei Morden gerne auch mal gestrickt oder körperliche Liebe praktiziert – macht sie noch unheimlicher als viele Psychopathen des modernen Serienkillerfilms.

Nach dem Genrejuwel „Kill List“ wechselte Wheatley sowohl die Verpackung als auch die stilistischen Mittel. Sein neuer Film ist weniger düster, dafür umso tiefschwarzer. Selbst für britische Verhältnisse pflegt „Sightseers“ in seiner erbarmungslosen Betrachtung menschlicher Tristesse einen mutigen Humor. Das Ende dieses blutigen Roadtrips ausgerechnet mit Frankie goes to Hollywoods Schmachtfetzen „The Power of Love“ zu unterlegen, mag hierfür als Beleg dienen. Mit großer Freude inszenierte Wheatley darüber hinaus England-Klischees am laufenden Band. Das schlechte Wetter ist so eines. Wenn es nicht gerade regnet, dann hagelt es oder Tina und Chris verschwinden im Nebel. Die Sonne sieht man dagegen kaum einmal. Und wenn doch sollte man ob der kurzzeitig schönen Bilder misstrauisch bleiben. Schließlich ist „Sightseers“ kein schöner Film und ein Psychopath mit Ordnungstick unberechenbar.

Marcus Wessel

Tina lebt bei ihrer leicht demenzkranken Mutter, ist dadurch mehr oder weniger gebunden. Wie froh ist sie, als sie in Chris einen Liebhaber findet. Sofort erklärt sie sich bereit, mit ihm einen achttägigen Sightseeing-Urlaub im Wohnwagen zu verbringen. Es soll an ziemlich seltsame Orte gehen: ein Straßenbahn-Museum, Steinkreise, Brücken, Höhlen.

Das Paar tut, was ein Liebespaar eben so tut. Aber: Erst unterwegs bemerkt Tina, dass Chris ein Serienkiller ist. Im Trambahn-Museum fährt er gleich einen rücksichtslosen Schmutzfinken zusammen. Tot.

Dann geht es weiter. Chris ist ein Systematiker. Tina muss vorwürfe einstecken, wenn sie beim Töten nicht ordentlich genug vorgeht.

Das Camping-Leben der beiden verläuft ansonsten normal. Tina strickt, liebt ihren Hund, versorgt Chris. Der trifft mit seinen Kumpels zusammen.

Doch gelegentlich muss einer dran glauben. Chris sagt, er bringe wegen Tinas Unordentlichkeit mehr Menschen um als sonst.

Ihre Gespräche sind die üblichsten der Welt. Die Dialogregie dieses Films ist ein Kunststück. Tina hat von Chris viel gelernt. Offenbar missfällt ihr nun das Morden ganz und gar nicht mehr.

Aber können die beiden ungestraft davonkommen?

Eine Horror-Comedy. Schwarzer, nein tiefschwarzer, tiefstschwarzer britischer Humor – dargeboten bei bildschönen Aufnahmen der nordenglischen Landschaft. Der Film ist komisch und „krank“ zugleich, ein wenig märchenhaft, ein wenig psychedelisch. Aber vor allem ist er in seiner Verrücktheit schrecklich faszinierend.

Alice Low (Tina) und Steve Oram spielen das in verblüffender Weise. Sie schrieben das Drehbuch selbst und haben lange an dem Film gearbeitet. Doch es hat sich gelohnt. Sie brachten mit dem jungen Regisseur Ben Wheatley eine monströse sehenswerte Comedy zustande.

PS: Kommt einem nicht auch zuweilen der Gedanke, jemanden umbringen zu wollen, von dem man beleidigt, belogen oder betrogen wurde?

Thomas Engel