In ihrem essayistischen Drama „Silent Friend“ widmet sich Regisseurin Ildikó Enyedi dem Zusammenspiel und wechselseitigen Beziehungen von Menschen und Pflanzen. Über einen Zeitraum von einem Jahrhundert und in drei Episoden zeigt der Film, wie die Natur und Botanik uns Menschen formt und beeinflusst – und welch sensible, empfindsame Lebewesen die uns umgebenden Bäume, Blumen und Gewächse sind. „Silent Friend“ ist tiefgründig, besonnen und durchzogen von einer entrückten, fast andächtig-meditativen Atmosphäre.
Über den Film
Originaltitel
Silent Friend
Deutscher Titel
Silent Friend
Produktionsland
DEU, HUN, FRA, CHI
Filmdauer
147 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Enyedi, Ildikó
Verleih
Pandora Film Medien GmbH
Starttermin
22.01.2026
Ein alter Ginkgobaum im botanischen Garten in Marburg steht im Mittelpunkt dieses poetisch angehauchten filmischen Essays. Der Baum ist stiller Zeuge dreier Lebensgeschichten zu unterschiedlichen Zeiten. Im Jahr 1908 versucht die erste Studentin der Uni Marburg, Grete (Luna Wedler), mit ihrer Kamera verborgene Naturmuster zu entdecken. 1972 erfährt der Student Hannes (Enzo Brumm) durch die stille Begegnung mit einer Geranie eine innere Wandlung. Und 2020 reist ein Neurowissenschaftler (Tony Leung Chiu-wai) aus Hongkong an, um ein ungewöhnliches Experiment an und mit dem Ginkgobaum vorzunehmen. Sein Ziel: Tiefere Einblicke in die menschliche Seele zu erlangen.
In „Silent Friend“ ist es kein menschlicher Charakter, der die einzelnen Elemente miteinander verbindet. Es sind die Pflanzen und vor allem der majestätisch anmutende, fast 25 Meter hohe Ginkgobaum, der als Bindeglied der drei Episoden fungiert. Allein dieser Umstand macht „Silent Friend“ schon rein inhaltlich ungewöhnlich. Der Baum ist stummer Zeuge der Zeit, die unaufhörlich vorbeirinnt und der Leben, die sich vor ihm abspielen.
Überhaupt nimmt Ildikó Enyedi das „Silent“ im Filmtitel mehr als wörtlich. Der erste abendfüllende Film der ungarischen Regisseurin und Drehbuchautorin seit vier Jahren ist geprägt von Ruhe, Entschleunigung und einer andächtigen Aura. Sie erzählt langsam und besonnen. Ergänzend kommen, passend dazu, lange Einstellungen und Kamerafahrten sowie außergewöhnliche Blickwinkel und Perspektiven hinzu. Wenn Enyedi zwischen den Ästen hindurchfilmt, regelrecht in die Blätter hineinzoomt und verschiedener Pflanzen mal aus der Ferne, mal in Close-Ups zeigt, dann kommen wir der Natur (optisch) auf besondere Weise nah.
Die Kameraarbeit von Gergely Pálos und der gesamte visuelle Stil zählen ohnehin zu den großen Stärken. Das Besondere: Jede Episode ist in einem anderen Filmmaterial (16mm, 35mm, digital) gehalten und die Optiken der jeweiligen Zeitebenen variieren stark. So unterscheiden sich die Episoden nicht nur inhaltlich und thematisch, sondern ebenso in ihrer Wirkung und sorgfältig durchkomponierten Ästhetik.
Einige Gemeinsamkeiten zwischen den Figuren der lose miteinander verknüpften Einzelgeschichten gibt es allerdings durchaus. Sie alle, von Grete über den Studenten bis hin zum Neurowissenschaftler, stellen sich folgende Fragen: Was nehmen Pflanzen wahr? Und wie kann man mit ihnen in Kontakt treten bzw. kommunizieren? Die Kernfrage, die Enyedi antreibt, geht nochmals weiter und tiefer. Sie erforscht in „Silent Friend“ zuvorderst die Aspekte der (menschlichen) Verbundenheit mit der Natur und wie sich die Wechselwirkungen zwischen den Lebewesen genau manifestieren. Die Pflanze als beeindruckendes, sensitives Geschöpf, das dem Menschen Kraft und Halt geben kann – nach der Betrachtung von „Silent Friend“ hallt vor allem diese Botschaft lange nach.
Ebenso bleiben die überzeugenden darstellerischen Leistungen im Gedächtnis. Allen voran Luna Wedler im historischen Erzählstrang und Tony Leung Chiu-wai faszinieren mit feinfühligen, nuancierten Performances. Mit würdevoller Zurückhaltung agieren sie in ihren Rollen und lassen den Pflanzen Raum für Entfaltung und, im wahrsten Sinne, Wachstum.
Björn Schneider







