Simón de la Montana

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Eindringliches Schauspielkino in einem Drama um einen rätselhaften, jungen Mann, der sich mit Fragen konfrontiert sieht, die meistens so ähnlich lauten wie: „Wer bist du und wo gehörst du hin?” Simón stellt sich diese Fragen selbst, aber auch Ärzte fragen ihn das, ebenso seine verständnislose Mutter und ihr Freund. Doch vielleicht möchte Simón einfach nur so sein wie seine Freunde, die körperlich und geistig eingeschränkt sind, damit er mit ihnen zusammen sein kann.
In diesem Film, der keine ganz leichte Kost ist, sind die Fragen eindeutig wichtiger als die Antworten. Aber das macht die Geschichte auch besonders interessant.

Webseite: https://www.cineglobal.de/Simón/

Argentinien, Chile, Uruguay 2024
Regie: Federico Luis
Drehbuch: Federico Luis, Tomas Murphy, Agustin Toscano
Mitwirkende: Lorenzo Ferro, Gamila Hirane, Laura Nevole, Pehuen Pedre, Kiara Supini, Agustin Toscano
Kamera: Marcos Hastrup
Musik: Hermán González Villamil

Länge: 98 Minuten
Verleih: Cine Global Filmverleih
Start: 27.03.2025

FILMKRITIK:

Simón sucht Anerkennung bei seinen Freunden, so wie beinahe jeder andere junge Mensch. Da seine Freunde in einer Schule für geistig und körperlich eingeschränkte Menschen betreut werden, besucht er ebenfalls diese Einrichtung und nimmt an den dort angebotenen Veranstaltungen teil: Er geht mit seinen Freunden schwimmen, probt mit ihnen für eine Aufführung von „Romeo und Julia“ und steht auch schon mal Schmiere, wenn sein Kumpel Pehuen mit einem Mädchen Zärtlichkeiten austauschen möchte. Als die Drei erwischt werden, gibt’s ziemlichen Ärger, denn nun stellt sich heraus, dass Simón gar nicht in dieser Einrichtung sein dürfte: Ein Gutachten, das ihm eine Behinderung attestiert, gibt es nicht, und auch seine eigene Mutter hält Simón für einen ziemlich sonderbaren, aber letztlich nicht behinderten Jugendlichen. Möglicherweise gibt Simón lediglich vor, behindert zu sein, es gibt einige entsprechende Hinweise, aber kann man diesen Hinweisen wirklich trauen?

Federico Luis‘ Film über diesen rätselhaften jungen Mann gibt dem Publikum viele Rätsel auf. Es gibt keine Gewissheiten während der fast 100 Minuten Laufzeit des Films, wozu auch das intensive Spiel Lorenzo Ferros beiträgt, der dem jungen Simón eine außergewöhnlich vielschichtige, ambivalente Persönlichkeit verleiht. Man wird nicht schlau aus diesem Jungen: Hat man es mit einer verirrten Seele zu tun oder mit einem abgefeimten Trickster? Gerade weil es nahezu unmöglich erscheint, diesem jungen Mann auf die Schliche zu kommen, folgt man ihm gebannt. Er entzieht sich der Normalität und der Gesellschaft der Normalos, er ist ein Außenseiter, weil er es offenbar sein will.

Simóns Freunde werden von Laienschauspielern gespielt, die in der Realität mit körperlichen und geistigen Einschränkungen leben. Sie agieren vollkommen locker und unverkrampft – was sicherlich auch ein Verdienst des Regisseurs ist – und geben der Geschichte eine beeindruckende Authentizität. Federico Luis setzt dabei auf einen ausgeklügelten Mix aus spontan gespielten, möglicherweise improvisierten Szenen und kontrollierter, konventioneller Schauspielerei, die das Geschehen nahbar macht. Man wird in die Welt von Simón und seinen Freunden förmlich hineingezogen und dort mit durchaus profunden Fragen über Normalität und Anderssein konfrontiert.

Und so wird „Simón de la Montaña” mit jedem Rätsel, das seitens des Regisseurs und des Hauptdarstellers aufgegeben wird, immer mehr zu einer Art umgedrehtem Coming-of-Age-Film. Insbesondere in den Szenen zwischen Simón, seiner Mutter und ihrem Freund Agustin wird deutlich, dass sich hier ein junger Mann der Erwartungshaltung seiner Familie und vielleicht der ganzen Erwachsenenwelt verweigert. Das hat – nicht zuletzt wegen der sehr realistischen, direkten Kameraarbeit und dem insgesamt authentischen Ansatz – wenig bis gar nichts mit dem märchenhaften Bravado eines Peter Pan zu tun. Simón ist ein junger Mensch, der einen sehr steinigen Pfad auf dem Weg zu sich selbst und seinem individuellen Lebensglück geht. Das Außenseitertum, von dem der Film letztlich handelt, wird weder gefeiert noch in Frage gestellt, sondern in starken Bildern gezeigt.

Federico Luis hat einen ungebärdigen, unbequemen Film geschaffen, der das Publikum in beinahe jeder Einstellung herausfordert – Arthouse-Kino vom Feinsten, aber absolut keine leichte Kinokost. Wer sich jedoch dieser Herausforderung stellt, wird vielleicht zu einem neuen, ganz anderen Blickwinkel auf das finden, was gern als „gesellschaftliche Normalität“ bezeichnet wird. Und einmal mehr erkennen, dass es viele wichtige Fragen gibt, auf die eindeutige Antworten nicht möglich sind.

 

Gaby Sikorski