Sinister

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Da Schriftsteller zur Spezies der hyperempfänglichen Mimosen zählen, dienen gerade sie in guten Horrorfilmen als Zielscheiben. Für eben jene Geister, die sie riefen. Was Jack Nicholson in „Shining“ oder John Cusack in „Zimmer 1408“ vormachten, darf nun Ethan Hawke in einer ausufernden Schaffens- und Identitätskrise erleiden. Dabei sucht er doch lediglich „Inspiration“ für sein neues Buch! Das Ergebnis ist ein mit paranormalen Einlagen durchsetzer Gruselthriller im klassisch linearen Zuschnitt. Gelegentlich ironisch überspitzt, jagt er dennoch bis zur letzten Minute Schreckensschauer ein.

Webseite: www.wildbunch-germany.de

USA 2012
Regie: Scott Derrickson
Mit: Ethan Hawke, Juliet Rylance, James Ransone, Fred Dalton Thompson, Vincent D'Onofrio, James Ransone, MichaeliHall D'Addario, Clare Foley, Rob Riley, Tavis Smiley 
Länge: 110 min.
Start: 22.11.2012
Verleih: Wild Bunch

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Frau, Sohn und Tochter ahnen nicht, in welches Haus sie da gerade die Umzugskartons tragen. Im hinteren Garten des großen Bungalows fand man einige Monate zuvor eine vierköpfige Familie, nebeneinander an einem großen Baum erhängt. Ein Täter wurde nicht gefunden, eine kleine Tochter der Familie verschwand spurlos aus dieser namenlosen pennsylvanischen Kleinstadt. Ausgerechnet hierher zieht der Schriftsteller Ellison Oswalt (Ethan Hawke) mit seinen Lieben.

Ein klobiger Sheriff von altem Schrot und Korn möchte den Autor am liebsten gleich entsorgen: „Wir wollen den Zirkus nicht, den Sie mitbringen“. Anders sucht sein verhaltensauffälliger Hilfssheriff (James Ransone) die Nähe zu dem berühmten Mann, möchte erst ein Autogramm haben und dann bei den Nachforschungen mithelfen.

Oswalt, der in seinen Büchern reale Kriminalfälle verarbeitet, wittert hier die Riesenchance, aus den Einsichten vor Ort einen zweiten Bestseller zu zaubern. Der erste liegt schon zehn Jahre zurück. Er braucht den Erfolg für das Ego wie auch den Erhalt der Ehe, da seine Frau Tracy (Juliet Rylance) weitere Jahre nutzloser Recherchen nicht akzeptieren will.

Dies alles rechtfertigt Oswalts latente Nervosität, er ist gefangen in den eigenen vier Wänden, in seinen Lügen, Zweifeln und Ängsten. Die Kamera bleibt ihm dicht auf den Fersen. Ethan Hawke, bekannt aus „Gattaca“ und „Before Sunset“ und im wirklichen Leben ein hofierter Autor von bislang zwei Romanen, weiß dieses Nicht-ganz-bei-sich-Sein in jeder Einstellung zu verkörpern.

Passend zur weiten, hellgrauen Opa-Strickjacke und schrulligen Brille kommt er gar nicht mehr dazu, Mund und Augen zuzuklappen. In dem neuen Haus warten bereits lauter alte Filmrollen auf ihn. Knisterndes und bröselig flimmerndes Super-8-Material. Offenbar möchte hier irgendein mysteriöser Einbrecher die Themen seines neuen vorgeben. Die furchtbaren Bilder übertreffen Oswalts Vorstellungen, keine Zeile bringt er in den Laptop.

Während die ahnungslose Gattin einen möglichst normalen Alltag in Gang hält – hierzu gehört das Verbot, Vatis Arbeitszimmer aufzusuchen, denn da hängen ja die vielen schrecklichen Fotos – versinkt der gebeutelte Autor in seinen Recherchen. Er findet weitere Filmrollen mit weiteren bestialischen Morden, denen jeweils Aufnahmen derselben Menschen in fröhlicher Eintracht vorausgehen. Offenbar hängen die Gräueltaten zusammen. Der Mörder muss ein Feind glücklicher Familien sein. Sein düsteres Geheimnis reicht tief in die Vergangenheit. Ein Symbolforscher (Vincent D'Onofrio) liefert Oswalt über Skype die Details zu uralten Mythen.

Bald tauchen auch unheimliche Geräusche und Gestalten auf. Mitten in der Nacht, auf dem Dachboden. Drastische Ereignisse folgen. Eine schwarze Gestalt mit weißer Maske ist in den Filmen erkennbar, der Projektor brennt, die Familie muss mitten in der Nacht umziehen. Immer wieder aufs Neue in Auflösung versetzt, stolpert Oswalt einem schockierenden Finale entgegen.

Scott Derrickson spielt geschickt mit der alles dominierenden Bildersucht und Bilder-Überpräsenz, mit der Spannung zwischen Vernunft, Erfolgsgier und dem Hang zum Abgründigen. Er zeigte schon in „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ und „Der Exorzismus der Emily Rose“ sein Gespür für eine überraschungsreiche Dramaturgie. In „Sinister“ konzentriert er sich mehr auf die Stimmung als auf die Story. Der Soundtrack aus unheimlichen Bässen und dissonant aufgeladenen Klängen von Christopher Young („Spider Man 3“) nimmt prägenden Anteil. Die Gruselspannung hält bis zum Ende an.

Dorothee Tackmann

Pennsylvania. Die Familie Oswalt beim Umziehen. Toll findet das niemand, weder der kleine Trevor noch seine Schwester Ashley. Und die Mutter Tracy schon gar nicht. Doch Ellison, der Vater, will es so.

Er ist Kriminalschriftsteller und möchte, ohne es zu sagen, in ein Haus ziehen, in dem an den Vorbesitzern Morde geschahen. Er hofft so, recherchieren und wieder einen Bestseller schreiben zu können wie vor zehn Jahren mit „Kentucky Blood“. Die Kinder dürfen sein Arbeitszimmer nicht betreten, denn dort hängt grausiges Beweismaterial.

Auf dem Dachboden findet Ellison alte Filme. Es sind selbst- gedrehte Familienaufnahmen – beim Angeln, beim Picknick, bei Ausflügen in die Natur. Doch plötzlich tauchen da auch noch andere Bilder auf: von Folterungen, von Morden, von Gehenkten. Ist da ein Serienmörder am Werk? Ellison stellt eine Verbindung zu früheren Mordtaten her. Er ist entsetzt, hofft aber gleichzeitig, nach langer Zeit eine gute Story gefunden zu haben.

Die Polizei hält von seinen Geschichten nicht viel, nur ein Deputy hilft ihm – aber auch nicht uneigennützig. Die Spuren werden immer rätselhafter, Ellison immer unsicherer, zumal auch der kleine Trevor schlimme Anfälle hat und Ashley Erlebnisse berichtet, die absolut albtraumhaft und unnatürlich sind. Ab und zu tauchen auf dem Filmmaterial eine undefinierbare Gestalt und merkwürdige Symbole auf. Ein zu Rate gezogener Kriminologe erklärt die Zeichen mit dunklen Ritualen, vielleicht sogar mit Ritualmorden.

Ellison fürchtet, den Verstand zu verlieren – vielleicht hat er ihn bereits halb verloren. Die Familie verlässt den Tatort wieder, will Frieden finden. Doch an Überraschungen fehlt es immer noch nicht.

Ethan Hawke ist Ellison. Er spielt dieses langsame Irrewerden sehr gut. An der dramaturgischen Logik kann man allerdings ganz schön zweifeln. Am besten die Idee mit den gefundenen (oder absichtlich in die Hände gespielten) Filmen.

Insgesamt muss man sich weniger an die Handlung halten als an die Horror-Effekte. Die sind handfest und nicht ohne Spannung. Wer es gerne gruselig mag oder sich gar gerne fürchtet, ist hier richtig.

Für Liebhaber von Horror-Filmen.

Thomas Engel