Sirāt

Die Brücke zwischen Himmel und Hölle heißt in der islamischen Eschatologie as-Sirāt und muss von Verstorbenen überquert werden, um ins Paradies zu gelangen. Dieser Gedanke dient als Ausgangspunkt von „Sirat“, dem vierten Spielfilm von Oliver Laxe, der in einem wilden Stilmix durch die Wüste tanzt, sich dabei immer wieder zu verlieren droht, aber einen sehr eigenen, ungewöhnlichen Film gedreht hat.

 

Über den Film

Originaltitel

Sirāt

Deutscher Titel

Sirāt

Produktionsland

ESP,FRA

Filmdauer

115 min

Produktionsjahr

2025

Produzent

Almodóvar, Pedro / Almodóvar, Agustín

Regisseur

Laxe, Óliver

Verleih

Pandora Film Medien GmbH

Starttermin

14.08.2025

 

Die Ausläufer der Sahara-Wüste in Marokko, schroffe Felsen, Geröll, Niemandsland. Schwere Boxen werden aufgebaut, eine Phalanx entsteht, eine Wand aus Sound dröhnt bald aus den Geräten. Aussteiger, Raver, Vertreter der Free Party Bewegung feiern als gäbe es kein Morgen. Und vielleicht gibt es das auch nicht, denn die Welt scheint kurz vor Ausbruch des Dritten Weltkrieges zu stehen, zumindest deuten das vage Meldungen im Radio an. Handys scheint es keine mehr zu geben, das Benzin ist teuer, was will man da noch mit seinem Leben anfangen, außer zu tanzen.

Zwischen die Feiernden, die mit ihren tätowierten und gepiercten Körpern wirken wie ein Volk für sich, hat sich ein Mann gemischt, der schon äußerlich so gar nicht hierhin passt: Luis (Sergi López), der zusammen mit seinem vielleicht zehnjährigen Sohn Esteban (Bruno Núñez) und ihrem kleinen Hund Pipa nach Marokko gekommen ist, um nach seiner Tochter zu suchen. Die hat sich seit Monaten nicht gemeldet, soll aber unter den Ravern zu finden sein. Viel mehr erfährt man nicht, ein Regisseur vieler Worte ist Laxe nicht, was sich bisweilen positiv, bisweilen auch negativ äußert.

Auf dem Rave scheint niemand die Tochter zu kennen, viele wirken desinteressiert, andere scheinen dem Mann, der in ihre Welt eindringt auch einfach zu mistrauen. Mit Jade (Jade Oukid) und ihren Freunden Steffi (Stefanian Gadda), Josh (Joshua Liam Henderson), Tonin (Tonin Janvier) und Bigui (Richard Bellamy) finden Vater und Sohn aber dennoch eine Gruppe von Ravern, die ihnen – anfangs widerwillig – hilft. Gemeinsam machen sich die Raver in zwei gut ausgerüsteten Fahrzeugen auf in die ganz ferne Wüste, wo ein weiterer Rave stattfinden soll. Vater und Sohn folgen in einer Art VW-Bus, der dem schroffen Gelände kaum gewachsen scheint. Eine Reise ins Ungewisse beginnt, die nur die wenigsten Reisenden überleben werden.

Bis auf den bekannten spanischen Schauspieler Sergi López hat Oliver Laxe ausschließlich Laien gecastet. Vor allem die Raver sind tatsächlich Raver, die „Sirat“ eine Authentizität verleihen, die künstlich kaum zu erreichen wäre. In der ersten Hälfte wirkt der Film dann auch oft wie eine Dokumentation über ein Leben fern der Zivilisation, über Aussteiger, die den Sinn ihres Lebens im Reisen von Rave zu Rave gefunden haben, oder dies zumindest glauben.

Denn das Chaos der Welt lässt sich auch in der Wüste Marokkos nicht ganz ausblenden, Nachrichten von beginnenden Kriegen sind zu hören, an einer Tankstelle stauen sich die Autos, das Militär patrouilliert. Doch die zunehmend entspannte Atmosphäre zwischen den Suchenden und den Ravern wird kurz nach der Mitte des Films jäh zerstört.

Fortan driftet „Sirat“ in immer surrealere Gefilde ab, werden die Figuren auf eine Weise mit Leben und Tod konfrontiert, die sie nicht erwartet hätten. Was ihnen hier widerfährt bleibt oft sehr vage, mehr als winzige Hinweise streut Laxe nicht in seine Narration, sondern verlässt sich lieber auf die eindrucksvolle Fotografie der Weite der Geröllwüste und die Musik, die aus den Lautsprechern dröhnt. Ein Film wie ein Trip, der für die Protagonisten zwar eher als schlechter Trip zu bezeichnen wäre, für den Zuschauer allerdings eine ungewöhnliche, überraschende Erfahrung darstellt.

 

Michael Meyns

Mehr lesen

Neuste Filmkritiken

ℹ️ Die Inhalte von programmkino.de sind nur für die persönliche Information bestimmt. Weitergabe und gewerbliche Nutzung sind untersagt. Nachdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Filmkritiken dürfen ausschließlich von Mitgliedern der AG Kino-Gilde für ihre Publikationen verwendet werden.