Sommerhäuser

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Familientreffen, wer wüsste das nicht, können manchmal ganz schön anstrengend sein. Bei diesem hier kommt noch die Hitze des Sommers 1976 hinzu, das ungeklärte Erbe der verstorbenen Oma sorgt für zusätzlichen Sprengstoff. Ein handlungsarmes, aber stilsicher inszeniertes Regiedebüt, das sich vor allem für unterschwellige Stimmungen interessiert und dabei perfekt in die siebziger Jahre versetzt.

Webseite: www.prokino.de

Deutschland 2017
Regie: Sonja Maria Kröner
Darsteller: Laura Tonke, Thomas Loibl, Günther Maria Halmer, Ursula Werner, Mavie Hörbiger
Länge: 97 Min.
Verleih: Prokino
Kinostart: 26.10.2017

FILMKRITIK:

Es ist der Sommer 1976, ein Sommer so heiß, dass entweder alles passieren kann oder nichts, weil die Hitze die Menschen entweder zur Weißglut treibt oder mit Trägheit lähmt. Eigentlich hatte die Großfamilie, um die es hier im Folgenden geht, wie immer die Ferien im idyllischen Sommerhaus von Oma Sophie verbringen wollen. Doch nun ist sie tot, und als alle von der Beerdigung wiederkommen, hat zu allem Überfluss auch noch ein Blitz in den alten, majestätischen Baum eingeschlagen. Die Kinder ficht das nicht an: Sie machen Jagd auf die unzähligen Wespen oder streiten sich um den Aufenthalt im Baumhaus, manchmal klettern sie auch über den Gartenzaun, um die Gegend zu erkunden. Verbotenerweise, denn vor Kurzem ist hier ein Mädchen verschwunden.
 
Die Erwachsenen hingegen haben schlechte Laune: Wer soll den Garten erben? Wäre es nicht einfacher ihn zu verkaufen? Eva (Laura Tonke) hat jedenfalls Angst, dass sie und ihr Mann Bernd (Thomas Loibl) den Kürzeren ziehen. Soll ihre oberflächliche, aufgekratzte Schwägerin Gitti (Mavie Hörbiger), die im Cabrio mit neuem Lover vorfährt, etwa alles bekommen? Bernd sucht deshalb das Gespräch mit seinem Vater (Günther Maria Halmer), während Tante Mathilde (Inge Maux) dem textilfreien Sonnenbad frönt. Und dann ist da noch Tante Ilse (Ursula Werner), die sich bislang um die kranke Sophie gekümmert hatte und darum an dem Sommerhaus hängt.
 
Das ist auch schon alles, was passiert.
 
Sonja Maria Kröner geht es in ihrem Regiedebüt eher um die Atmosphäre als um eine lineare Geschichte, eher um die Konflikte und Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern als um dramatische Höhepunkte. Mit knappen Strichen zeichnet Kröner lebendige Menschen, die sich seit langem kennen und darum in einer Mischung aus Loyalität und Misstrauen gegenüber stehen. Nicht immer geht das auf. So agiert Laura Tonke mit ihrem Zynismus zu böse, Mavie Hörbiger gerät mit ihrem auf Äußerlichkeiten bedachten Hedonismus zum Klischee. Dann aber wieder gelingen der Regisseurin kleine Beobachtungen, die sich wie echte Erinnerungen an ein lange zurückliegendes Familientreffen anfühlen: das Treten auf einen Gartenschlauch, das Reinigen von Fingernägeln mit einer groben Bürste, die rotierenden Blätter eines schlichten Rasenmähers.
 
Darüber hinaus hat Kröner, unterstützt vom Production Designer Conrad Reinhardt und Kostüm-Designer Andy Besuch, großen Wert auf das Wiederaufleben der siebziger Jahre gelegt. Ganz egal, ob das Gartengelände, das Hausinnere oder die Kleidung – man fühlt sich als Zuschauer förmlich 40 Jahre zurückversetzt, nicht zuletzt weil im Radio die deutschen Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen von Montreal gefeiert werden. Beeindruckend auch die ständige, präzise ausgetüftelte Geräuschkulisse: singende Vögel, brummende Wespen, knarzendes Holz, sprudelnde Sprinkler, im Wind wehende Blätter und weit entfernte Flugzeuge – das ist der akustische Hintergrund für ein konfliktreiches Familientreffen, das ohne sein spielfreudiges, Generationen umspannendes Ensemble nicht denkbar wäre.
 
Michael Ranze