Dass das US-amerikanische Verleih- und Produktionsunternehmen A24 seit einigen Jahren schwer angesagt ist, hat einen guten Grund: In schöner Regelmäßigkeit bringt die Firma originelle Stoffe auf den Weg, die oft eine aufregende Alternative zum Einheitsbrei der großen Studios darstellen. Eines der jüngsten Beispiele ist „Sorry, Baby“, das Regiedebüt von Eva Victor. Die in Sundance uraufgeführte Tragikomödie, die eben dort den Drehbuchpreis gewann, erzählt auf vielschichtige, ebenso humorvolle wie eindringliche Weise von einer Missbrauchserfahrung.
Über den Film
Originaltitel
Sorry, Baby
Deutscher Titel
Sorry, Baby
Produktionsland
USA
Filmdauer
104 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Victor, Eva
Verleih
DCM Film Distribution GmbH
Starttermin
18.12.2025
Kann man einen sexuellen Übergriff und dessen Nachwirkungen wirklich mit den Mitteln der Komik fassen? Man kann, und wie! „Sorry, Baby“ zeigt restlos überzeugend, dass ein sensibles Thema durch lustige Momente keineswegs eine Trivialisierung erfahren muss. Mit traumwandlerischer Sicherheit gelingt es Eva Victor, auch verantwortlich für das prämierte Skript, die richtige Balance zu finden. In einer gerechten Welt sollte ein Film wie dieser auch bei den großen Industrie-Preisen – sprich: den Oscars – mit Anerkennung überschüttet werden.
Die in fünf Kapitel unterteilte, in der Zeit vor- und zurückspringende Tragikomödie lässt in der Gegenwart die guten Freundinnen und einstigen Kommilitoninnen Agnes (Victor selbst) und Lydie (Naomi Ackie) aufeinandertreffen. Letztere lebt mit ihrer Partnerin mittlerweile in New York und besucht Erstere in einem Haus auf dem Land, das sich die beiden während ihrer Studienzeit teilten. Im Gepäck hat Lydie eine freudige Nachricht: Dank einer Samenspende erwartet sie ein Baby. Agnes arbeitet derweil als Literaturprofessorin an dem Provinz-College in Neuengland, an dem sie einst auch ihre Doktorarbeit schrieb. Mit dieser verbindet sie allerdings schmerzhafte Erinnerungen an eine sexuelle Attacke durch ihren Betreuer Preston Decker (Louis Cancelmi). Erinnerungen, die immer mal wieder an die Oberfläche drängen.
Die Qualität von „Sorry, Baby“ offenbart sich in vielen Augenblicken. Eine Szene brennt sich jedoch besonders ins Gedächtnis: Als Agnes von einer Panikattacke durchgeschüttelt wird, landet sie vor einem Sandwichladen, dessen Betreiber Pete (John Carroll Lynch) zunächst einen eher barschen Ton anschlägt. Dann aber erkennt er ihre Notlage und hilft ihr, sich zu beruhigen. Zwei wildfremde Menschen sitzen plötzlich nebeneinander und tauschen sich über unglaublich intime Dinge aus. Nicht zuletzt das grandiose Zusammenspiel von Victor und Lynch, der wie kein Zweiter einen rustikalen Charme versprüht, macht diese Begegnung zu einer unter die Haut gehenden filmischen Miniatur.
Eine große Strahlkraft hat ebenfalls die Beziehung zwischen Agnes und Lydie. Zuneigung, Vertrauen und Nähe kommen gleich am Anfang beim Wiedersehen zum Vorschein. Nichts wirkt aufgesetzt. Sofort hat man das Gefühl, wirklich zwei alte Freundinnen zu beobachten. Interessant ist dabei, wie unterschiedlich das Drehbuch dennoch die Figuren zeichnet. Während Lydie mit ihrer baldigen Kleinfamilie in die nächste Lebensphase eintritt, scheint Agnes noch ein bisschen auf der Suche nach sich und ihrem Platz in der Welt zu sein. Ihr fluider Kleidungsstil, ein Moment, in dem sie ihr Geschlecht nicht klassisch festlegen will, und einige spöttische Kommentare über Sex mit Männern lassen erahnen, dass die Jungprofessorin sich mit klaren Einteilungen schwertut (Eva Victor selbst bezeichnet sich als nonbinär).
Absurde, gut getimte Situationskomik verleiht dem Film etwas Leichtfüßiges. Gleichzeitig vergisst man aber nie, dass die Protagonistin ein Trauma erlitten hat. Vermeintlich unbedeutende Ereignisse oder kleine Bemerkungen reichen aus, um es wieder zu triggern. Warum viele Frauen sich noch immer scheuen, offen über sexuelle Gewalterfahrungen zu sprechen, fangen zwei Szenen sehr eindrücklich ein: Als Agnes kurz nach dem Übergriff bei einem Arzt vorstellig wird, rattert der Mediziner ohne Fingerspitzengefühl sein Standardprotokoll herunter. Demütigend ist überdies das Gespräch der Literaturwissenschaftlerin mit zwei College-Vertreterinnen, die Verständnis heucheln, die Lehranstalt aber von jeglicher Verantwortung freisprechen.
Als bemerkenswert, gerade aus formalem Blickwinkel, erweist sich die Art und Weise, wie Eva Victor den Missbrauch inszeniert bzw. nicht ins Bild holt: Agnes trifft sich mit ihrem Doktorvater in dessen Haus. Die Kamera jedoch bleibt die ganze Zeit über draußen, fixiert das Gebäude, während Schnitte das Verstreichen der Zeit markieren. Zunächst ist es hell, dann dämmrig, dann stockfinster. Auf einmal geht die Tür auf, und Agnes eilt hastig zu ihrem Wagen, während ihr Gesicht nicht zu erkennen ist. Erst im Auto angekommen, sehen wir sie von vorne und begreifen, in welcher Verfassung sie sich befindet. Eine Darstellung, die so wenig zeigt, aber doch so viel aussagt!
Christopher Diekhaus







