Souleymans Geschichte

Fast würde man meinen, dass man es bei „Souleymans Geschichte“ mit einem Film der Dardenne-Brüder zu tun haben, so harsch und unmittelbar wird die Geschichte des Mittzwanzigers Souleyman erzählt, ein Migrant aus Guinea, der in Paris sein Glück sucht. Doch Regie bei dem in Cannes und bei den Césars vielfach ausgezeichneten Drama führte Boris Lojkine, der hier ein bemerkenswertes Sozialdrama vorlegt.

 

Über den Film

Originaltitel

L’Histoire de Souleymane

Deutscher Titel

Souleymans Geschichte

Produktionsland

FRA

Filmdauer

93 min

Produktionsjahr

2024

Produzent

Nahon, Bruno

Regisseur

Lojkine, Boris

Verleih

Film Kino Text – Jürgen Lütz

Starttermin

19.02.2026

 

Schon von Berufs wegen kommt Souleyman (Abou Sangare) kaum zur Ruhe: Als Fahrradkurier rast er durch die Straßen von Paris, hetzt von Restaurants zu Empfängern, unerbittlich überwacht von der App seines Auftragsgebers. Jede Minute zählt, Zeit ist Geld, allzu viel bleibt am Ende der Woche ohnehin nicht übrig, denn Souleyman ist ein sans-papier, ein Migrant ohne Papiere, der deswegen keiner regulären Arbeit nachgehen kann.

So mietet er quasi das legale Konto eines Kameruners, der schon länger in Frankreich ist, der legal vor Ort ist und deswegen auch schon mal über „diese Afrikaner“ motzt, die immer wieder ihren Ruf als unzuverlässig zu bestätigen scheinen. Nur die Hälfte seines Verdienstes kann Souleyman behalten, zumindest ist das die Abmachung, aber dass daraus nichts wird, ahnt man schnell.

Dabei braucht Souleyman jeden Euro, manchen schickt er nach Hause, zu seiner Mutter, die teure Medikamente braucht, von denen er nicht weiß, ob sie sie bekommt. In Paris wiederum steht bald ein entscheidender Moment an, der über Souleymans Schicksal entscheiden könnte: Ein Termin beim Amt für Migration, wo der Mann aus Guinea eine wilde Geschichte auftischen will: Ein Mitglied der UFDG, der Union des forces démocratiques de Guinée behauptet Souleyman zu sein, eine der politischen Fraktionen seiner Heimat, er behauptet, politisch verfolgt zu sein und bittet daher um Asyl. Reine Phantasie ist diese Story, Souleyman lernt sie wie in der Schule auswendig, bekommt von einem Mittelsmann die passenden Papiere, einen Mitgliedsausweis der Partei und anderes besorgt – natürlich für Geld.

Während zu Hause in Guinea eine Frau auf ihn wartet, lebt Souleyman in Paris in einer Unterkunft für Asylsuchende, irgendwo am Rand der Stadt, weit weg vom Zentrum der Metropole, deren Dienstleistungsgewerbe ohne Migranten wie Souleyman nicht mehr funktionieren würde, in der sich besserstehende Franzosen aber eben so sehr über eine Veränderung des Stadtbildes beklagen dürften, wie Friedrich Merz und Co.

In einem früheren Film hatte der französische Autor und Regisseur Boris Lojkine den langen Weg von Westafrika nach Europa beschrieben, in „Souleymans Geschichte“ geht es nun um das Schicksal, das viele Migranten im Herzen Frankreichs erleben. Hauptdarsteller Abou Sangare stammt selbst aus Guinea, einer ehemaligen französischen Kolonie in Westafrika, spielt hier seine erste Rolle in einem Film, in die auch eigene Erlebnisse eingeflossen sind.

In jeder Szene ist Souleyman zu sehen, ganz nah bleibt die Kamera an ihm dran, folgt ihm, wenn er durch die Straßen fährt, Autos ausweicht, möglichst schnell seine Lieferungen erledigen will. Kontakt mit Kunden, mit weißen Franzosen, gibt es kaum, auch in den Restaurants werden Lieferanten wie Souleyman meist nicht gerne gesehen, müssen oft draußen warten, trotz der Kälte. Und immer droht die Gefahr, eine schlechte Bewertung zu bekommen, eine zerknitterte Tüte kann ausreichen, würde den Jobverlust bedeuten, die Probleme verschärfen.

Unterstützung erhält Souleyman von kaum jemanden, in der Unterkunft hat er einen Freund, für ein paar Momente tauscht man sich aus, herrscht so etwas wie Normalität, doch früh am nächsten Morgen geht die Hetze wieder los. Unerbittlich schildert Lojkine dieses Leben, das exemplarisch für das vieler Migranten steht, die irgendwie im Westen bleiben wollen, dem Staat nicht auf der Tasche liegen, von den Strukturen der Gig-Economy jedoch nur allzu gerne ausgenutzt werden.

Wer Lieferando oder Flink benutzt, wer seine Pakete von Amazon bekommt, mag nach diesem Film beim nächsten Mal vielleicht ein bisschen genauer hinschauen, wer denn da das Essen oder Anderes liefert. Meist sind das auch in Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund, denn andere haben auf diese Jobs meist keine Lust. Ihr Schicksal stellt „Souleymans Geschichte“ in den Mittelpunkt, ihnen verleiht Boris Lojkines eindringlicher Film eine Stimme.

 

Michael Meyns

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