Steig.Nicht.Aus!

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Seit seinem Kinoerstling „Antikörper“ beackert Regisseur Christian Alvart („Pandorum“, „Banklady“) regelmäßig das Genrekino. Sein neuer Film „Steig. Nicht. Aus!“ adaptiert den spanischen Thriller „Anrufer unbekannt“ von 2015 und überzeugt als straighter Erpressungsthriller, der beinah ausschließlich im Auto eines von Wotan Wilke Möhring gespielten Immobilienhais spielt. Das ist kompakt und spannend inszeniert und zeigt, dass das Kino gesellschaftspolitische Baustellen wie hier die Wohnungsmisere nicht nur in Themenwerken, sondern durchaus auch in Form packender Genrestoffe aufgreifen kann.

Webseite: www.steignichtaus-derfilm.de

Deutschland 2018
Regie: Christian Alvart
Drehbuch: Christian Alvart nach dem Originalskript von Alberto Marini
Darsteller/innen: Wotan Wilke Möhring, Emily Kusche, Christiane Paul, Carlo Thoma, Hannah Herzsprung, Fahri Yardim, Mavie Hörbiger, Aleksandar Jovanovic, Marc Hosemann
Laufzeit: 109 Min.
Verleih: NFP marketing & distribution
Kinostart: 12. April 2018

FILMKRITIK:

Seinen Hochzeitstag hat sich der erfolgreiche Berliner Bauunternehmer Karl Brendt (Wotan Wilke Möhring) anders vorgestellt. Als er nach einem Streit mit seiner Frau Simone (Christiane Paul) die gemeinsamen Kinder Josefine und Marius (Emily Kusche, Carlo Thoma) im Auto zur Schule fährt, meldet sich ein mysteriöser Anrufer. Der Mann berichtet Karl von einer Autobombe, die hochgeht, sobald eins der Familienmitglieder den Fahrzeugsitz verlässt. Seine Forderung: Knapp eine halbe Million Euro, bestehend aus Karls Privatvermögen und Überweisungen seiner Geschäftspartner. Mitten im Hauptstadtverkehr, mit den Kindern auf dem Rücksitz und dem Erpresser im Nacken, versucht Karl alles, um den geforderten Betrag telefonisch zu akquirieren.

Wenn man so will, buchstabiert das durch Christian Alvart adaptierte spanische Originaldrehbuch von Alberto Marini die berühmte Hitchcocksche Anekdote zur Suspense aus: Wenn im Kino überraschend eine Autobombe explodiert, erschrickt das Publikum lediglich – echte Suspense entsteht, wenn die Zuschauenden im Vorfeld vom Sprengkörper wissen und jeder Stopp an einer roten Ampel Nervenkitzel erzeugt.

In diesem Sinn wendet Alvart gar nicht viel Zeit für eine Exposition auf. Kaum läuft der Film, schon sitzt Wotan Wilke Möhring im Auto, kaum fährt er los, ruft der Erpresser an. Mit wenigen Strichen wird der gebeutelte Karl zuvor als windiger Immobilienunternehmer mit Eheproblemen skizziert. Alles Weitere ergibt sich im Dauertelefonat mit dem Bombenleger, der Karl regelrecht verabscheut.

Die Charakterzeichnung bleibt so zweckmäßig wie die Plot-Wendungen. Manches, etwa die Allwissenheit des Erpressers, erscheint recht unplausibel, anderes, wie eine zu Vorführungszwecken platzierte weitere Autobombe, arg konstruiert. Auch die Erkenntnis, dass sich der Karrierist Karl von seiner Familie entfremdet hat und seine Kollegen Geld über Freundschaft stellen, bleibt trivial. Thematisch nimmt „Steig. Nicht. Aus!“ erst im letzten Drittel an Fahrt auf, wenn die halbseidene Entmietung eines Wohnhauses zur Debatte steht und Karl seine (mindestens indirekte) Verantwortung dafür neu überdenken muss.

Die heikle Zwangslage des Protagonisten, der bald auch ins Fadenkreuz der Polizei gerät, bringt Wotan Wilke Möhring („Who Am I“) mit durchschlagender Wirkung rüber. Vom Rücksitz aus steuert die aus „Tigermilch“ bekannte Emily Kusche emotionale Spitzen bei, während ihr jüngerer Filmbruder Carlo Thoma, quasi im toten Winkel sitzend, eher als Motivationsmotor denn eigenständige Figur ins Gewicht fällt. In einer größeren Nebenrolle tritt Hannah Herzsprung („Vier Minuten“) als smarte Bombenentschärferin auf, die Karl im Gegensatz zum polizeilichen Einsatzleiter (Aleksandar Jovanovic aus „Kurz und schmerzlos“) Glauben schenkt.

Inhaltlich bietet Alvarts Thriller grundsolide Genrekost. Die Stärke und Unterhaltsamkeit des Thrillers speist sich klar aus dem inszenatorischen Bereich, wo Alvart auf bündige Weise reichlich Spannung aufbaut. Zwei ausgebuffte Plansequenzen und ein aufwendig gestalteter Polizeieinsatz auf dem Berliner Gendarmenmarkt stechen besonders heraus. Dem Kameramann Christoph Krauss gelingen einige raffinierte Aufnahmen, die Marc Hofmeister („Tschiller: Off Duty“) und Theo Strittmatter („König Laurin“) bündig aneinanderschneiden. So kann der erzählerisch simple, aber fachmännisch in Szene gesetzte Thriller ähnlichen Hollywood-Produktionen durchaus die Stirn bieten.

Christian Horn