Stellas Versuchung

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Wie schon sein exzellenter Vorgängerfilm „Young Adam“ handelt David MacKenzies 2005 auf der Berlinale mit dem Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater ausgezeichneter „Stellas Versuchung“ von einer fatalen erotischen Beziehung einer verheirateten Frau mit einem unberechenbaren Mann. Angesiedelt im depressiven Umfeld einer Irrenanstalt verweigern sich die Geschehnisse rationalen Erklärungsmustern und münden in ein unausweichliches Ende. Mit einer starken schauspielerischen Leistung macht Natasha Richardson den seelischen Verfall ihrer Figur sichtbar.

Webseite: www.salzgeber.de/stella

Originaltitel: Asylum
Großbritannien 2005
Regie: David MacKenzie
Darsteller: Natasha Richardson, Ian McKellen, Marton Czokas, Hugh Bonneville, Judy Parfitt, Sean Harris, Gus Lewis
Ca. 100 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart am 29.3.07

PRESSESTIMMEN:

Das im England der 50er Jahre spielende Frauendrama überzeugt mit seiner stillen und dabei sehr intensiven Machart.
Brigitte

FILMKRITIK:

Stella Raphaels Ehemann Max tritt eine neue Stelle als Arzt in einer psychiatrischen Klinik an. Er hat da Aufstiegschancen. Für Stella und ihren Jungen Charlie ist die neue Umgebung allerdings eher Isolierung, Gefangenschaft, goldener Käfig. Doch sie hat in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts als englische Ehefrau keine große Wahl. Sie ergibt sich in ihr Schicksal, gärtnert in dem großen die Krankenhausanlage umgebenden Park, raucht, trinkt.

Max hat mit seiner Frau nicht mehr viel zu tun. Er will Direktor werden. Ihm ist außerdem die gesellschaftliche Etikette wichtiger und genauso seine Arbeit.

Charlie vertreibt sich gelegentlich die Zeit mit dem Insassen Edgar Stark. Der ist zwar Maler, aber auch ein Mörder. Er hat seine Frau getötet und verstümmelt. Jetzt ist er seit Jahren in Behandlung. Doch er hat lichte Momente. Stella und Edgar kommen sich über Charlie näher. Und bald erwächst daraus eine absolute Leidenschaft. So sehr, dass Stella, als Edgar ihr ein Ultimatum stellt, die Familie verlässt und zu dem geflohenen Liebhaber in ärmste, versteckte Verhältnisse nach London zieht.

Stella wird aufgespürt, muss zurück. Dr. Cleave, ein heuchlerischer, egoistischer, heimlich Stella begehrender, nach oben wollender Arzt, zieht dabei die Fäden.

Nun steuern die Ereignisse schnurstracks in die Tragödie. Sowohl Maxens als auch Cleaves Bemühungen um eine Lösung sind vergebens. Stella und Edgar lieben sich noch immer leidenschaftlich, werden jedoch nie mehr zusammen kommen können. Für Stella bedeutet dies das Ende.

Die in diesem Melodram geschilderte britische Gesellschaft bewegt sich in stereotypen, zwanghaften, ihrer Auffassung nach gehobenen Bahnen. Alles muss präzise nach den Regeln ablaufen, auch wenn diese zum Teil äußerst steril sind. Aus dieser Welt bricht Stella aus. Sie hat das Unglück, dass sie auf einen zwar leidenschaftlichen, aber unberechenbaren Mann trifft. Von da an ist ihr Sturz programmiert.

Es kommt alles zusammen: die damalige Männerherrschaft, der Vorrang der beruflichen Aktivität, die gesellschaftliche Steifheit, die Vernachlässigung Stellas und deren Einsamkeit, Edgars kranker, brutaler wenn auch zuweilen leidenschaftlich-zätlicher Charakter, Stellas Sorge um ihr Kind.

Das alles ist in diesem Film genau artikuliert und ausgespielt: im Verhalten der Menschen, im Dialog, in der bemerkenswert gut geführten Kamera, im Licht, in der Zeichnung der Charaktere.

Natasha Richardson hat sich lange um diesen auf einem Theaterstück basierenden Streifen bemüht. Es hat sich gelohnt. Sie füllt alle Nuancen der Rolle wunderbar aus. Nur manchmal hätte man sie gerne ein wenig fröhlicher. Ian McKellen als Dr. Cleave liefert ebenfalls eine starke Leistung ab. Und auch Marton Czokas als Edgar sowie Hugh Bonneville als Max können sich sehen lassen.
Alles in allem ein starkes Melodram.

Thomas Engel

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Oh wäre es doch nur ein Geist gewesen, den der etwa zehnjährige Charlie (Gus Lewis) da halb angezogen aus seinem Elternhaus huschen sah. Was Charlie (noch) nicht weiß: das Gespenst hat seiner Mutter Stella den Kopf so dermaßen verdreht, dass die kurz darauf ihre Familie verlässt. Dabei hatte alles doch so schön begonnen. Als designierter neuer Leiter einer Irrenanstalt im England der 50er Jahre hatte Charlies Vater Max (Hugh Bonneville) eine neue Stelle angetreten. Der gesellschaftliche Aufstieg für die Familie schien vorprogrammiert. Die Mama (Natasha Richardson) aber fühlte sich im Kreis der teetrinkenden Ärztefrauen wohl doch nicht so wohl. Jedenfalls wurde die standhafte Frau eines Tages urplötzlich schwach und warf sich einem zu Renovierungsarbeiten am Glashaus im Garten eingeteilten Patienten in unzweideutiger Weise in die Arme. Nicht einmal, nicht zweimal, nein, immer wieder und immer öfter wälzten sich fürderhin die beiden Körper im atemlosen, ja besinnungslosen Liebesspiel. Schon machten Gerüchte über die skandalöse Affäre die Runde, doch dann gelang dem als gefährlich eingestuften Patienten die Flucht aus der Anstalt – der Spuk schien vorbei.

Von wegen, dies war nur der amour fou erster Teil. Unter dem Vorwand von Weihnachtseinkäufen trifft Stella ihren Edgar (Marton Czokas), der einst aus Eifersucht seine Frau ermordete und bestialisch zurichtete, in London wieder. Er fristet dort in einem schäbigen Hinterhaus ein karges Leben als Künstler. Von der Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit ihres Liebhabers kann Stella sich alsbald selbst überzeugen – sich trotz anfänglicher Beherrschtheit aus ihrer emotionalen Umklammerung befreien kann sie nicht.

Aus jenen Szenen, die Regisseur David MacKenzie dem einander verfallenen Paar einräumt, geht leider nicht hervor, was Stella an dieser Beziehung reizt – abgesehen davon vielleicht, dass ihre Ehe nicht gerade von romantischer Zuneigung erfüllt ist. In ihren Träumen entfernt sie sich immer weiter von der Realität und kann nicht mehr verhindern, dass ihre Familie für immer zerstört sein wird. Eine wichtige Rolle in „Stellas Versuchung“ spielt neben den beiden starken Hauptdarstellern Natasha Richardson und Marton Czokas Ian McKellen als Edgars Nervenarzt. Man erwehrt sich nicht des Eindrucks, dass er an der Entwicklung der dramatischen Ereignisse wenigstens indirekt eine gewisse Mitschuld hat – immerhin hier hat man hernach doch noch einiges zu spekulieren. Er ist am Ende zumindest der einzige, der keinen (seelischen) Schaden nimmt.

Verstörend an dieser fatalen Liebesgeschichte, deren Drehbuch Patrick Marber („Hautnah“, aktuell auch „Tagebuch eines Skandals“) nach der Romanvorlage von Patrick McGrath entwickelte, ist das sprunghafte Tempo der Ereignisse, die einen mit der Entwicklung vor allem von Stellas Figur bald schon nicht mehr Schritt halten lassen und mit der Zeit sogar langweilen. Von Leidenschaft scheint die stilistisch korrekt von der Kamera im altmodischen Umfeld eingefangene Beziehung zu Edgar jedenfalls nicht erfüllt. Beider Erotik wirkt vielmehr besessen und traumatisiert – von Romantik keine Spur. Die freilich darf man in einem Film über die dunkle Seite der Seele auch nicht erwarten.

Thomas Volkmann