Stellet Licht

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Mit seinem dritten Film steigt Carlos Reygadas endgültig in die Liga der führenden Autorenfilmer auf. In betörenden Bildern erzählt er eine metaphysische Dreiecksgeschichte, angesiedelt in der Mennoniten-Gemeinde in Nordmexiko. „Stellet Licht“ ist ein Film von außerordentlicher Kraft, thematisch komplex, von der ersten bis zur letzten Einstellung mit höchstem Gestaltungswillen gefilmt. Besseres wird es dieses Jahr kaum im Kino zu sehen geben.

Webseite: peripherfilm.de

Mexiko 2007
Regie und Buch: Carlos Reygadas
Darsteller: Cornelio Wall, Maria Pankratz, Miriam Toews, Peter Wall, Jacobo Klassen, Elizabeth Fehr
Länge: 130 Minuten, Format: 1:2,35 (Scope)
Verleih: peripher
Kinostart: 2. April 2009

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Gleich die erste Einstellung von „Stellet Licht“ macht deutlich, dass man in eine andere Welt eintaucht, eine Welt, in der die Naturgesetze nicht unbedingt gelten, in der metaphysische Ereignisse ohne Skepsis hingenommen werden. Vom Sternehimmel schwenkt die Kamera langsam auf die Erde, es ist dunkel, doch am Horizont beginnt langsam die Sonne aufzugehen. Langsam fährt die Kamera durch zwei allein stehende Bäume hindurch, Grillen zirpen, erwachendes Vieh lärmt, der Tag bricht an. Ein atemberaubender Beginn, der über zwei Stunden später von einer exakten Umkehrung zitiert wird. Zwischen diesen beiden Polen, zwischen Sonnenauf- und untergang spielt sich die Geschichte ab, jedoch nicht unbedingt an einem Tag, vielleicht noch nicht einmal in einer Realität. Schlafwandlerisch, fast ohne Worte läuft das Leben ab, in einer merkwürdig irreal wirkenden Atmosphäre.

In einer Küche, dem Hort der Familie, beginnt der erste Teil des Films. Ein Mann, Johann (Cornelio Wall) sitzt mit seiner Frau Esther (Miriam Toews) und den sechs Kindern am Küchentisch, man frühstückt, die Kinder verlassen den Raum und Johann hält das Pendel der Wanduhr an. Ein erster deutlicher Hinweis auf Dreyers „Ordet“, den Reygadas auf subtile Weise zitiert. Das Anhalten der Zeit legt nahe, dass das nun folgende Johanns Imagination entspringt, zwingend ist diese Interpretation allerdings ebenso wenig wie eine realistische Lesart. Merkwürdig apathisch bewegen sich die Personen, ihre wenigen Dialogsätze wirken nicht zuletzt des ungewohnten Dialekts wegen wie aufgesagt, wie nicht von dieser Welt. 

In dieser leicht unwirklich anmutenden Atmosphäre, durch schwerelose Kamerabewegungen und expressiven Ton noch verstärkt, erscheint auch die Beiläufigkeit nachvollziehbar, mit der Johanns Affäre mit Marianne (Maria Pankratz) gezeigt wird. Weder Johanns Vater noch andere Mitglieder der Gemeinde scheinen sich über Johanns Verhalten zu wundern, dass eine Fügung des Schicksals zu sein scheint, der Willen Gottes. Doch warum, fragt sich Johann, lässt Gott es zu, dass er, der verheiratet und vielfacher Vater ist, der seine Frau ehrlich liebt, eine andere Frau kennen lernt, die er als Seelenverwandte erkennt? 

Antworten auf diese Fragen liefert Reygadas nicht, aber sie unterfüttern den zweiten Teil des Films. Ziemlich genau nach der Hälfte der Spielzeit trennen sich Johann und Marianne einvernehmlich, erleben noch einen Moment der Nähe, als sie auf einem kleinen schwarzweiß Fernseher Jacques Brel sehen und dann beginnt der Film von neuem.
Wieder ist man in der Küche, wieder sitzt die Familie zusammen, doch etwas ist anders. Das somnambule ist gewichen, nun wirken auch die vorher noch so friedfertigen Mennoniten wie normale Menschen, die Wut und Eifersucht empfinden. Und nun tritt auch die äußere Welt in den Film ein, hört man Spanisch, gibt es Hinweise auf modernes Leben. Doch gerade als es den Anschein macht, dass man sich endgültig in einer realistischen Welt befände, lässt Reygadas seinen Film sich endgültig in spirituelle Dimensionen entwickeln. 

Wie man das unerklärliche Ereignis, dass den Film beschließt, versteht, liegt im Auge des Betrachters. Reygadas liefert subtile Hinweise, bietet unterschiedliche, sich widersprechende Interpretationsansätze an, auf klare Antworten lässt er sich aber ebenso wenig ein wie es seine erklärten Vorbilder Dreyer und Tarkovsky getan haben. Mögen diese Vergleiche noch ein wenig hoch gegriffen sein, im gegenwärtigen Autorenkino gibt es wenige Regisseure, die es mit Reygadas, seiner Bildgestaltung, seinem Mut zu vielschichtigen Geschichten aufnehmen können.
 

Michael Meyns

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