Sterne über uns

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Das Drama „Sterne über uns“ schildert den kräftezehrenden, alltäglichen Kampf einer alleinerziehenden Mutter, die mit ihrem Sohn im Wald hausen muss. Hoffnung auf eine Wohnung bietet ein neuer Job als Flugbegleiterin. Spielfilm-Debütantin Christina Ebelt zeigt eine starke Frau, die in einer klar zwischen Arm und Reich aufgeteilten Welt versucht, ihre Würde zu bewahren und ihrem Sohn ein besseres Leben zu bieten.

Webseite: www.sterne-über-uns.de

Deutschland 2018
Regie: Christina Ebelt
Drehbuch: Christina Ebelt, Franziska Krentzien
Darsteller: Franziska Hartmann, Claudio Magno, Kai Ivo Baulitz
Länge: 95 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 14. November 2019

FILMKRITIK:

Unerwartet stehen Melli (Franziska Hartmann) und ihr Sohn Ben (Claudio Magno) ohne Wohnung da. Notgedrungen haben sie sich einen Unterschlupf im Wald gebaut, als Dach über dem Kopf dient ihnen ein einfaches Zelt. Doch Melli hat vor kurzem eine neue Stelle als Flugbegleiterin angetreten, eine neue Bleibe scheint also nur eine Frage der Zeit. Doch die Wohnungssuche, selbst mit Arbeitsvertrag in der Tasche, gestaltet sich schwerer als erwartet. Nicht zuletzt aufgrund eines alten Schufa-Eintrags, den die junge Frau nicht so leicht wieder los wird. Der Druck auf Melli wächst. Denn das Jugendamt droht damit, ihr Ben wegzunehmen, wenn sich an der Situation nicht bald etwas ändert.

Christina Ebelt rückt die Existenzangst einer aufopferungsvoll gegen die Windmühlen der Bürokratie kämpfenden Frau in den Mittelpunkt. Rund drei Millionen Alleinerziehende gibt es in Deutschland, fünf Mal häufiger als Paarhaushalte leben sie in Armut. Jeden Tag müssen sie dabei den Balanceakt zwischen Erziehung und Berufstätigkeit bewältigen. Für die Hauptfigur aus „Sterne über uns“ kommt erschwerend die Obdachlosigkeit hinzu. Ein zermürbender Zustand. Der Abgrund ist stets näher als der sichere Boden unter den Füßen.

Für Hauptdarstellerin Franziska Hartmann ist es gewissermaßen ein Solo-Stück, da sie in fast jeder Szene zu sehen ist. Meist sieht man sie kämpfen. Um die Zusage eines Vermieters oder Gehaltsvorschusses bei ihrem Arbeitgeber, gegen die Drohgebärden des Jugendamtes, für das Wohl ihres Sohnes (eine echte Entdeckung: Jungdarsteller Claudio Magno). Hartmann zeigt eine starke, ungeschönte Performance, zu der auch einige hochemotionale Wut- und Zusammenbrüche gehören, in denen sich offenbart, dass die Kräfte ihrer Figur langsam schwinden. Kein Wunder, jongliert sie doch täglich zwischen ihrem Wohnort, in der Natur, und ihrer Arbeitsstätte, dem Flugzeug, hin und her, wo sie stets top aussehen, ausgeschlafen und pünktlich sein muss. Und zwischendurch hetzt sie zu Wohnungsbesichtigungen und Terminen auf Ämtern aller Art.

Dramaturgisch und inhaltlich ist der im Sommer 2018 in  Köln und Umgebung gedrehte Film einfach und minimalistisch gehalten. Auch die Anzahl überraschender Wendungen und unabsehbarer Handlungsverläufe hält sich in Grenzen. Dasselbe gilt für die Nebenfiguren. Abgesehen von Bens Lehrer und einer alten Bekannten von Melli, die sich immer wieder mal um Ben kümmert, spielen andere Charaktere in „Sterne über uns“ quasi keine Rolle. Das Drama konzentriert sich ganz auf die intensive Zweierbeziehung und das bestehende Abhängigkeitsverhältnis zwischen Melli und Ben – und erinnert dabei häufiger an die eindringliche Mutter-Kind-Beziehung aus dem Oscar-prämierten, kammerspielartigen Meisterwerk „Raum“ von 2015.

Rührend sind die Momente, in denen Ben seiner Mutter Trost spendet und ihr Hoffnung macht, dass sich alles zum Guten wenden werde. In einer Szene sagt er, dass er später einmal so viel Geld habe, dass sich die Beiden ein besseres Leben leisten können. Hier verkehren sich die Rollen auf vielschichtige Weise ins Gegenteil, wenn es plötzlich das Kind ist, das dem Erwachsenen Halt und Unterstützung gewährt.

Björn Schneider