Streik

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Erneut findet der französische Regisseur Stéphane Brizé, wie bereits in seinem Drama „Der Wert des Menschen“, effektvoll überzeugende Bilder für die ökonomischen Machtverhältnisse. Glaubhaft verkörpert dabei der französische Charakterdarsteller Vincent Lindon den kämpferischen Gewerkschafter, der anpackt. Und allein wie er das tut macht das beinahe dokumentarische Sozialdrama zum Ereignis. Die hitzigen Diskussionen, die ohnmächtige Wut, den Eklat mit der Polizei fängt Brizé mit rasanter Handkamera ein, streckenweise fast ohne musikalische Untermalung. Sein eindringliches Lehrstück über die zynische Logik des globalisierten Casino-Kapitalismus rüttelt auf.

Webseite: www.neuevisionen.de

OT: En guerre
Frankreich 2018
Regie: Stéphane Brizé
Buch: Olivier Gorce, Stéphane Brizé
Darsteller: Vincent Lindon, Mélanie Rover, Jacques Borderie, David Rey, Olivier Lemaire, Isabelle Rufin, Bruno Bourthol
Länge: 113 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 25. April 2019

FILMKRITIK:

„Hört zu, wir weichen nicht von der Stelle“, beschwört der altgediente Gewerkschafter Laurent Amédéo (Vincent Lindon) die streikende Belegschaft des Autozulieferer Perrin im strukturschwachen südwestfranzösischen Agen. Trotz Rekordgewinnen will die Firma, die inzwischen einem deutschen Konzern gehört, das Werk dicht machen. Und das obwohl die gut tausend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Zugeständnisse bei Lohn und Arbeitszeiten gemacht haben, um ihre Jobs zu erhalten. Denn in Rumänien können die Bosse billiger produzieren.
 
Die Streikenden fordern sowohl die französische wie deutsche Geschäftsleitung zu Gesprächen auf. Vor allem der Vorstand der deutschen Holding Martin Hauser verschanzt sich. Dank ihrer Hartnäckigkeit gelingt es ihnen jedoch immer wieder Teilsiege zu erringen. Aber der nervenzehrende Existenzkampf sät freilich auch Zwietracht. Die einen verhandeln heimlich über eine Abfindung, die anderen wollen weiterkämpfen.
 
Glaubhaft verkörpert der französische Charakterdarsteller Vincent Lindon den kämpferischen Gewerkschafter, der anpackt. Und allein wie er das tut macht das beinahe dokumentarische Sozialdrama zum Ereignis. Obwohl der 59jährige aus einer wohlhabenden Familie stammt, spielt er nicht selten Vertreter der Arbeiterklasse - oft Männer mit rauer Schale und weichen Kern. Erneut findet Regisseur Stéphane Brizés, wie bereits in seinem Drama „Der Wert des Menschen“, effektvoll überzeugende Bilder für die ökonomischen Machtverhältnisse.
 
Im Kampf gegen die angeblich unumstößlichen Gesetzes des Marktes verleiht er den Akteuren ein Gesicht. Und auch diesmal hat er neben dem preisgekröntem Vincent Laurent die meisten Rollen mit Laien besetzt, darunter echte Gewerkschaftler, was die Glaubwürdigkeit seines semidokumentarischen Sozialdramas noch erhöht. Die hitzigen Diskussionen, die ohnmächtige Wut, den Eklat mit der Polizei fängt er mit rasanter Handkamera ein, teilweise ohne musikalische Untermalung. Mit pulsierender Kraft treiben Schnitte und die Zäsur durch Schwarzbilder die Dramaturgie seines sozialen Politthrillers voran.
 
Für die fiktive Fabrik im Film gibt es in Frankreich zahlreiche Beispiele aus den vergangenen Jahren. Vor allem die Konflikte bei Continental und Goodyear sorgten für Schlagzeilen. Getreu dem Brecht-Zitat: „Wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft hat bereits verloren“ wirkt seine drastische Inszenierung vor allem durch die unnachgiebige Haltung. Sein eindringliches Lehrstück über die zynische Logik des globalisierten Kapitalismus macht wütend und rüttelt auf. Nicht umsonst gab es dafür beim Filmfest in Cannes Standing Ovations.
 
Ein Arbeitsdrama mit hoher Glaubwürdigkeit lieferte in den 1970er Jahren auch Kultregisseur Paul Schrader. Sein Noir-Film „Blue Collar-Kampf am Fließband“ aus einer Autofabrik in Detroit Michigan, Kondensationspunkt amerikanischer Klassenkämpfe bis in die Gegenwart, mit Harvey Keitel ist selbst heute noch außergewöhnlich und absolut sehenswert. Das Drama zwischen ehrlicher Arbeit und mörderischer Korruption gilt zu Recht als Meisterwerk des New-Hollywood-Kinos.
 
Luitgard Koch

„Der Wert des Menschen“ hieß vor drei Jahren der letzte Film von Stéphane Brizé, in dem ebenfalls Vincent Lindon die Hauptrolle spielte. Ihre neue Zusammenarbeit heißt „Streik“, doch auch hier geht es um den Wert der Menschen, den Wert der Arbeiter einer französischen Fabrik, die in den Strudel des Kapitalismus gerät. Wuchtig erzählt Brizé, mit klarer Rollenverteilung, etwas allzu klaren Täter- und Opferprofilen.

Die Arbeiter einer Autofabrik in der französischen Kleinstadt Agen sind empört: Jahrelang haben sie freiwillig auf Lohnerhöhungen verzichtet, um ihr Werk, das einer der wenigen größeren Arbeitgeber in der strukturschwachen Region im Südwesten Frankreichs ist, zu sichern. Doch nun teilt der deutsche Besitzer mit, dass die 1100 Arbeiter doch sofort entlassen werden und das Werk geschlossen wird. Nicht etwa, weil es Verluste einfährt, sondern weil die Rendite nicht hoch genug ausfällt.

Doch so leicht wollen es die Arbeiter den Besitzern nicht machen. Besonders der erfahrene Gewerkschafter Laurent Amédéo (Vincent Lindon) führt seine Truppen auf die Barrikaden und initiiert einen umfassenden Generalstreik. Anfangs halten die Arbeiter auch zusammen, doch je länger der Ausstand dauert, um so schwieriger wird die Situation. Die Rücklagen schrumpfen, die Bosse stellen sich stur und so beginnen Zweifel an der harten Haltung wach zu werden, die Laurent vertritt.

Zunehmend gerät er in die Enge, sieht sich mit Kollegen konfrontiert, die Kompromisse eingehen wollen, um zumindest eine Abfindung zu erhalten. Er allein sieht sich in der Rolle, den Kampf, den Krieg bis zum Ende zu führen, um alles oder nichts zu streiten, denn hier geht es nicht nur um Arbeitsplätze, sondern um Prinzipien und vor allem um Würde.

Wie ein Dokudrama wirkt „Streik“ oft, wie die Rekonstruktion eines Arbeitskampfes, der grundsätzliche Fragen zum modernen Kapitalismus aufwirft. Atemlos umkreist die Kamera die Figuren, vor allem den Fixpunkt des Geschehens, den erfahrenen Gewerkschafter Laurent, gespielt vom unvergleichlichen Vincent Lindon. Schon in „Der Wert des Menschen“ spielte er einen Arbeiter, der sich nur schwer mit den Anforderungen der modernen Arbeitswelt abfinden konnte und an seine moralischen und ethischen Grenzen stieß. Eine ambivalente Figur was das damals, eine Rolle, für die Lindon bei den Filmfestspielen von Cannes mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet wurde. Auch „Streik“ feierte in Cannes Premiere, letzten Mai, ein paar Monate bevor die Proteste der Gelbwesten begannen, absolut aktuell und zeitgemäß also. In den drei Jahren, die zwischen den Filmen liegen, hat sich die wirtschaftliche Situation Frankreichs, auch Europas, keineswegs verbessert. Vielleicht ist so zu erklären, dass der differenzierte, ambivalente Ansatz, der in „Der Wert des Menschen“ vorherrschte, einem agitatorischen, fast wütenden Ton Platz gemacht hat, der in „Streik“ kaum Platz für Zwischentöne lässt.

Weder Laurents Haltung noch die Schwächen seiner Gewerkschaftskollegen stehen zur Disposition, schon gar nicht natürlich die Haltung der Firmeninhaber aus dem fernen Deutschland, die scheinbar ohne jeden vernünftigen Grund eine Fabrik schließen, ohne Rücksicht auf die Menschen vor Ort. Wut ist zwar nicht unbedingt der beste Ratgeber, aber er ist hier fraglos Auslöser für einen wuchtigen, engagierten Film, der mit seiner Anklage des ungezügelten, rein Profit orientierten Kapitalismus den Nerv der Zeit trifft, auch wenn er dies auf nicht unbedingt differenzierte Weise tut.

Michael Meyns