Antoine hat sich geschworen, auf nichts und niemandem mehr Rücksicht zu nehmen. Scheinbar gelangweilt von einem auf den ersten Blick perfekten Wohlstandsleben bricht er mit sämtlichen Konventionen...
Nach dem eher gemütlichen, mitunter leicht kitschigen „Dialog mit meinem Gärtner“ schlägt Regisseur Jean Becker in seinem neuen Film ganz andere Töne an. „Tage oder Stunden“ erweckt anfangs den Eindruck einer schonungslos offenen, bitterbösen Satire. Erst später zeigt sich, dass uns Becker damit auf eine völlig falsche Fährte gelockt hat. Das Ende provoziert, erschüttert und überrascht zugleich.
Webseite: arsenalfilm.de
OT: Deux jours à tuer
Frankreich 2007
Regie: Jean Becker
Buch: Eric Assous, Francois d’Epenoux, Jean Becker
Darsteller: Albert Dupontel, Marie-Josée Croze, Pierre Vaneck, Alessandra Martines
Länge: 85 Minuten, Format: 1:2,35 (Scope)
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 30. April 2009
PRESSESTIMMEN:
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FILMKRITIK:
Ziemlich genau die Hälfte seiner kaum mehr als 80 Minuten Laufzeit macht Jean Beckers neuer Film den Anschein, eine besonders extreme Form der Midlife-Crisis zu beschreiben. Man beobachtet den Werbefachmann Antoine (Albert Dupontel) dabei, wie er sich über das Produkt eines Kunden lächerlich macht, sich scheinbar mit seiner Geliebten trifft und seiner Frau ein klärendes Gespräch verweigert. Zu allem Überfluss ist auch noch sein Geburtstag, seine Freunde planen eine Überraschungsparty, doch Antoine scheint nur ein Interesse zu haben: Seine Freunde und Familie mit der Wahrheit zu konfrontieren. Ohne Rücksichtnahme hält er ihnen ihren Wohlstand vor, ihre Oberflächlichkeit, ihr geordnetes Mittelklasseleben, das in Konventionen und Erwartungen erstarrt ist.
Das ist in seiner Schonungslosigkeit und auch in seiner Wahrhaftigkeit schwer zu ertragen, zumal Becker diese Szenen so inszeniert, als würde er – und mit ihm Antoine – sie auch so meinen. Man hat also den Eindruck, als hätte ein Mann, der gerade 42 geworden ist und all das besitzt, was im Allgemeinen als erfolgreich betrachtet wird - einen tollen Job, ein großes Haus, eine schöne Frau und zwei reizende Kinder – plötzlich eine Epiphanie, die ihm klar macht, dass zum Leben mehr gehört als materieller, oberflächlicher Erfolg.
Diese Sicht wird noch dadurch bestärkt, dass Antoine schließlich das Weite sucht, Paris hinter sich lässt und im nicht gerade subtilen Kontrast in den malerischen Landschaften Irlands landet, wo sein ihm entfremdeter Vater lebt. Doch kaum hat man erfahren, dass der Vater seine Familie mit 42 Jahren verlassen hat, es also scheinbar um einen unaufgearbeiteten Vater-Sohn Konflikt geht, schlägt der Film seine finale Volte. Die soll zwar nicht enthüllt werden und doch muss gesagt werden, dass sich mit ihr nicht nur der Blick auf das zuvor gesehene komplett ändert, sondern vor allem das zuvor gezeigte, die scheinbare Haltung des Films, als Täuschung entlarvt wird.
Für sich genommen mag das Konzept des Films zwar funktionieren, zwar eine befremdliche, aber nicht unoriginelle Entscheidung Antoines sein, doch die Art und Weise, wie der Film dies präsentiert, überzeugt nur bedingt. Zu viele Unwahrscheinlichkeiten muss man schlucken, um das gezeigte Verwirrspiel zu akzeptieren, zu viele falsche Fährten muss das Drehbuch legen, damit der Twist funktioniert, was im Nachhinein aber unbeantwortete Fragen aufwirft. Da hilft auch nicht, dass Albert Dupontel eine sehr überzeugende Performance hinlegt und augenscheinlich viel Spaß dabei hatte, einmal sagen zu dürfen, was viele Menschen wohl denken, aber angesichts der gesellschaftlichen Konventionen doch lieber für sich behalten. Ein interessanter Ansatz, eine sehr starke erste Hälfte, stilistisch überzeugend, aber letztlich doch ein fragwürdiger Film.
Michael Meyns
Er ist der Prototyp eines egozentrischen, von sich eingenommenen Ekels. Antoine (Albert Dupontel) sagt das, was er denkt und macht das, was er für richtig hält. Doch weder seine Frau Cécile (Marie-Josée Croze) noch seine Freunde verstehen, warum sich Antoine plötzlich so verhält. Während sie ihn verdächtigt, eine Geliebte zu haben, erlaubt er sich auf der Arbeit einem Kunden gegenüber ausfallend zu werden. Ohnehin scheint ihn der Job als Mitinhaber einer Werbeagentur nur noch anzuöden. Kurzerhand wirft er die Brocken hin und kehrt der oberflächlichen Werbewelt den Rücken. Selbst die von Freunden organisierte Überraschungsparty zu seinem Geburtstag endet in einem Desaster. Antoine tritt die Flucht an. Ihn zieht es nach Irland, dorthin, wo sein Vater (Pierre Vaneck) bereits seit über dreißig Jahren ein naturverbundenes Leben führt.
Der neue Film von Jean Becker („Dialog mit meinem Gärtner“) beginnt als ätzende Satire, die kein Blatt vor den Mund nimmt und einem (Anti-)Helden, der in der Rolle des geborenen Zynikers aufzugehen scheint. Vieles erinnert zunächst an den französischen Medien-Rundumschlag „39,90“, dessen ätzender Blick gleichsam so manche Banalität und Verlogenheit unseres modernen Konsumverhaltens entlarvte. Antoine mag, so wie er von Becker hier eingeführt wird, ein Unsympath sein und dennoch möchten wir ihm insgeheim dafür applaudieren, dass er die nicht immer angenehmen Wahrheiten endlich offen ausspricht. Wo wir uns vielleicht aus Angst um die Konsequenzen oder aus Gründen der „Political Correctness“ um eine ehrliche Antwort drücken würden, kennt er kein Pardon. Dass er dabei immer öfter über das Ziel hinausschießt, erzeugt bisweilen aber auch Unbehagen, was sicherlich Beckers Intention entspricht.
Albert Dupontel verkörpert den augenscheinlich vom Leben gelangweilten und von einer Art Midlife-Crises erfassten Mittvierziger jederzeit glaubhaft. Hat sein Spiel zu Beginn etwas Spitzbübisches an sich, so verkehrt sich diese Haltung mit zunehmender Laufzeit in etwas Bedrohliches, fast schon Manisches, das sich zunächst nicht genau kategorisieren lässt. Wenn Antoine in Irland ankommt und seinen Vater aufsucht, kippt die Stimmung. Dort, wo Beckers Film in seiner ersten Stunde auf das satirische Element setzte, macht sich plötzlich eine tiefe Melancholie breit. Erst in den letzten Minuten enthüllt der Film schließlich seine wahren Absichten, die Antoines Verhalten und Entscheidungen rückblickend in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.
Obgleich diese Wende wohl kalkuliert ist und die Handlung auf sie wie auf einen schwarzen Punkt zusteuert, ist man als Zuschauer nicht wirklich vorbereitet auf das, was „Tage oder Stunden“ in letzter Konsequenz beschreibt. Das Ende, das in einem anderen Kontext leicht zu einer manipulativen, inhaltsleeren Geste verkommen könnte, setzt ein dickes Ausrufezeichen hinter Antoines Geschichte. Der wiederum hat die Maske des Zynikers zu diesem Zeitpunkt längst abgenommen. Was genau dahinter zum Vorschein kommt, das sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur soviel: In jedem Fall bricht es einem das Herz, wenn ganz zum Schluss Serge Reggiani sein „Le Temps Qui Reste“ vorträgt und so einen in sich stimmigen Film auf unverwechselbare Art abrundet.
Marcus Wessel
Antoine, ungefähr im Mittelalter, hat einen guten Job, Cécile, die Ehefrau, die ihn liebt, zwei reizende Kinder. Außerdem wohnt er mit seiner Familie schön. Er könnte also halbwegs zufrieden sein.
Doch was ist in ihn gefahren? Von einem Tag auf den anderen macht er einen begehrten Kunden in seiner Firma lächerlich. Er schmeißt hin, ist jetzt arbeitslos.
Daheim hinterlässt er keinen besseren Eindruck. Brühwarm hatte eine Freundin Cécile erzählt, sie habe Antoine Händchen haltend mit einer anderen gesehen. Was wirklich geschehen ist, bleibt noch verborgen. Aber der Krach ist programmiert. Zwischen den Eheleuten entspinnt sich ein hässliches Streitgespräch. Die Temperatur steigt immer höher. Antoine schreit seiner Frau schließlich zu, dass er sie verlassen werde.
Einen Tag muss er noch bleiben, denn es ist sein Geburtstag. Cécile hat viele Freunde eingeladen.
Antoine provoziert diese, veranstaltet das gleiche Theater wie in der Firma und mit Cécile. Er beleidigt die Freunde – definitiv.
Am nächsten Tag ist er unterwegs nach Cherbourg. Er will nach England übersetzen. Einem Autostopper schenkt er viel Geld. Noch einmal: Was ist in ihn gefahren?
Er kommt nach Irland. Dort lebt seit 30 Jahren sein alter Vater. Das Verhältnis ist äußerst gespannt, denn der Alte hat einst Mutter und Sohn im Stich gelassen.
Die beiden sind beim Fischen. Antoine bricht zusammen. Jetzt wird offenbar, warum er sich derart unmöglich verhielt, warum er allen eine Szene machte, was er vorhatte und was nicht zu vermeiden war.
Regisseur Jean Becker ist der Schöpfer von „Dialog mit meinem Gärtner“, eine sehr gute Referenz. Also kann man erwarten, dass „Tage oder Stunden“ von vergleichbarer Qualität sei. Und das ist so.
Das Geheimnis von Geschichte und Handlung zu verraten wäre unsinnig. Nur so viel: Es ist ein melancholischer, schmerzlicher, aber schöner Film geworden, in dem die Dialoge sprühen, der zu einem ganz bestimmten Bewusstsein zwingt und der fesselnd gespielt ist, vor allem von Albert Dupontel als Antoine und Marie-Josée Croze als Cécile.
Thomas Engel