Tagebuch einer Pariser Affäre

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Wer braucht schon Leidenschaft? Was heißt hier Liebe? – Die Komödie erzählt von Charlotte und Simon, einem sehr untypischen französischen Liebespaar, und von ihrer Beziehung, die (siehe Titel) mehr Affäre ist als Romanze: Emmanuel Mouret („Küss mich bitte“) mischt das Beste von Woody Allen und Eric Rohmer zu einer feinsinnigen, mit viel Intelligenz gewürzten Melange, die sich den RomCom-Klischees absichtsvoll verweigert.

Frankreich 2022
Regie: Emmanuel Mouret
Drehbuch: Pierre Giraud, Emmanuel Mouret
Darsteller: Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne, Georgia Scalliet, Maxence Tual
Kamera: Laurent Desmet

Länge: 100 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 23. März 2023

FILMKRITIK:

Am Freitag, dem 28. Februar geht es los: Charlotte und Simon, die sich kurz zuvor kennengelernt haben, sehen sich wieder. Im Getümmel einer voll besetzten Bar kommt Charlotte praktisch sofort zur Sache: Sie will Sex, und zwar jetzt. Simon ist geschockt, schließlich hat er Frau und Kinder, aber er macht gerne mit, auch wenn ihn Charlotte mit ihrer provokanten Art ziemlich verunsichert. 14 Tage später treffen sie sich erneut. Die Abstände zwischen ihren Rendezvous werden kürzer, ihre Gespräche immer offener. Der Sommer kommt und geht, beide werden mutiger. Aber werden sie ihr Vorhaben realisieren können, auf Dauer eine unverbindliche Beziehung zu führen? Und ist das überhaupt erstrebenswert?

Sex ohne Risiko, aber mit einem festen Partner – davon träumt Charlotte, die schon oft enttäuscht wurde und glaubt, sie habe in Simon den perfekten Mann für ihre Pläne gefunden. Da er selbst gebunden ist, besteht keine Gefahr, dass er zu klammern beginnt. Und weil er alles andere als ein Macho ist, muss sie nicht damit rechnen, dass er sie egoistisch ausnutzt. Sandrine Kiberlain spielt die Charlotte als souveräne Frau mit einer leicht ironischen Attitüde. „Keine Fragen, keine Luftschlösser“, lautet ihre Devise. Manchmal erinnert sie in ihrer natürlich burschikosen Art stärker an die junge Diane Keaton als Diane Keaton selbst, wie eine moderne Annie Hall, nur ohne Neurosen. Der Film hat aber doch einiges mit dem „Stadtneurotiker“ gemeinsam, vor allem die Grundlage: ein Paar aus der intellektuellen Szene einer charismatischen Stadt, das schnelle, geistreiche Dialoge wechselt. Vincent Macaigne als Simon ist wie Woody Allen ein kleiner Mann mit schütterem Haupthaar – der denkbar größte Gegensatz zu der lässig eleganten, etwas schlaksigen Charlotte. Er ist ein liebenswerter Tollpatsch und generell ein bisschen verpeilt. Einmal sagt er sinngemäß, Charlotte müsse wohl sehr barmherzig sein, weil sie mit ihm schläft. Das zeugt nicht gerade von Selbstvertrauen. Aber davon bringt die coole Charlotte so viel mit, dass es für zwei reicht. Auch wenn die beiden zu Beginn nicht so wirken, als seien sie füreinander geschaffen, gibt es immer mehr, was sie vereint. Der Sommer vergeht, sie genießen gemeinsam das Leben, den Sex und die Unverbindlichkeit ihrer Beziehung, die alles ist außer ernsthaft. So sollte es jedenfalls sein.

Emmanuel Mouret inszeniert geschickt eine Geschichte, die – wiederum ähnlich wie bei Woody Allen – auch von der natürlichen Ausstrahlung und dem intelligenten Humor der Protagonisten lebt. Neben der Situationskomik, die hier deutlich dezenter ausfällt, gehört die beobachtende Kamera zum Stadtneurotiker-Package. Sie wartet manchmal schon auf die beiden, es gibt wenige Fahrten und seltene Nahaufnahmen, dafür Schattenrisse und ungewöhnliche Bildausschnitte, ähnlich wie in einem Dokumentarfilm, in dem Bildführung und Licht nicht immer kontrollierbar sind. Doch im Gegensatz zu Woody Allens Pärchen sind Charlotte und Simon zwei beinahe erschütternd normale Menschen, die weder laut werden noch überhaupt zu dramatischen Aktionen neigen. Stattdessen sind sie fast immer in Bewegung, was zu ihrer Beziehung gehört wie die ständigen Gespräche, die sie genauso verbinden wie der Sex, um den es ihnen eigentlich geht. Mouret verzichtet allerdings mit voller Absicht auf die Darstellung von Liebesszenen. Stattdessen setzt er auf pointierte Dialoge, die strömen und fließen wie ein Bächlein und manchmal schäumen wie ein Wasserfall. Der Tagebuchcharakter des Films, der immer wieder über Einblendungen betont wird, impliziert aber auch: Irgendwann wird all das ein Ende haben. Die spannende Frage aber lautet: was für ein Ende?

 

Gaby Sikorski