Tangerine

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Die nordmarokkanische Hafenstadt übt nach wie vor eine Faszination aus. Irene von Alberti, zuletzt mit einer Episode an „Stadt als Beute“ beteiligt, kennt sich im Mekka der Schriftsteller aus. In ihrem ersten Langspielfilm erzählt sie nun von konfliktreichen Alltagsbegegnungen junger deutscher Urlauber mit marokkanischen Prostituierten und Musikern. Das Besondere: von Alberti beleuchtet die Sicht von beiden Kulturen.

Webseite: www.tangerine-film.de

Deutschland/Marokko 2008
Regie: Irene von Alberti
Darsteller: Sabrina Ouazani, Nora von Waldstätten, Naima Bouzid, Alexander Scheer, Nohad Sabri, Till Trinkel u.v.a.
95 Minuten
Verleih: Filmgalerie 451
Kinostart: 14.5.09

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Pia (Nora von Waldstätten) ist mit ihrem Freund Tom (Alexander Scheer) nach Tanger gereist, um Musiker zu treffen, die noch die traditionell verwurzelten Stücke des Jajouka aus dem südlichen Rif-Gebirge sowie der dem Sufismus nahestehenden Jilala-Klänge spielen können. Tom vernachlässigt bei diesen sich nicht gerade einfach gestaltenden Recherchen die Beziehung zu seiner Partnerin. Als Pia und Tom in einer Bar die junge Amira (Sabrina Ouazani) kennen lernen, freundet sich zunächst Pia mit der temperamentvollen Bauchtänzerin an. Als sich Amira aber plötzlich für Tom zu interessieren beginnt - anfangs durchaus noch im Einverständnis mit Pia, die sich durch Toms Verhalten Klarheit über die eigene Beziehung zu ihm erhofft -, kippt die Sympathie in Rivalität. Mehr noch, nachdem Pia realisiert, dass Amira Tom nur dazu benutzen will, über ihn ein Visum für Europa zu erhalten.  
Anders als man es für einen deutschen Film erwarten würde klammert sich Irene von Alberti nun aber nicht an den Konflikt zwischen Pia und Tom, sondern interessiert sich gleichermaßen auch für das Schicksal und die Motive von Amira und deren Mitbewohnerinnen in einer Prostituierten-WG in der Altstadt von Tanger. Als Pia zu Beginn des Films in dieses Hinterhofdomizil zurückkehrt, sind Gefühle bereits verletzt worden, fühlen sich einzelne Personen verraten. Indem von dieser Rückkehr aus die vorangegangenen Ereignisse in Rückblenden rekapituliert werden, ist das so, als würden Pia endlich die Augen geöffnet und Verständnis geweckt für das vorangegangene Verhalten. Dazu nimmt „Tangerine“ immer wieder auch die marokkanische Perspektive ein. Zugute kommen dem Film auch die Erfahrungen Irene von Albertis als Produzentin des Episodenfilms „Paul Bowles Halbmond“ (1995) sowie als Regisseurin der Fernsehdokumentation „Maroc en Vogue“ (2006) zugute.

Erzählt wird zum Beispiel von der Schwierigkeit, als alleinerziehende Mutter einen Lebensunterhalt zu verdienen und für das uneheliche Kind eine Genehmigung zu erhalten, so dass dieses zur Schule gehen darf. Falsche Versprechungen der Behörden, Hinhaltetaktik, Angst vor Razzien beim Besuch von Nachtbars, wo die Frauen auf reiche Männer (bevorzugt Touristen) hoffen und ihren Kopf oft nur durch Zahlung von Schmiergeldern an korrupte Beamten vor der öffentlichen Anprangerung retten können, werden offensichtlich. All diese Dinge sieht Pia zunächst jedoch nicht, mehr noch, als Amira ihr einen Lebenslauf präsentiert, der ganz und gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Pia ist in diesen Momenten die ahnungslose Fremde, fasziniert vom aus ihrer Sicht abenteuerlichen Leben in jener Stadt, die in der Vergangenheit auch Schriftsteller, Künstler und Musiker wie Paul Bowles, Jean Genet, William Burroughs, Francis Bacon und Brian Jones von den Rolling Stones in ihren Bann zog.

Noch mehr als sie ist Tom dieser Faszination erlegen. Alexander Scheer, zuletzt in der Uschi-Obermaier-Verfilmung „Das wilde Leben“ als überzeugender Keith Richards in Erscheinung getreten, darf erneut einen coolen Musiker geben, der in seiner Naivität und seinem Rockstargehabe manchmal aber auch wirkt wie ein Star, der stillschweigend glaubt, man habe auf sein Erscheinen nur gewartet. Die schlaue Amira erkennt sehr schnell, wie sie ihn für sich erwärmen kann.

Auf eindrückliche Weise gelingt es „Tangerine“, in dieser die Perspektiven wechselnden Geschichte zu zeigen, wie unterschiedlich der Begriff ‚Freundschaft’ von marokkanischer wie deutscher Seite verstanden werden kann und warum unterm Strich eine solche nicht wirklich möglich ist. Sowohl Nora von Waldstätten wie auch Sabrina Ouazani wirken dabei echt, die Deutsche in ihrer sachlichen Kühlheit, die Marokkanerin in ihrem manchmal übertriebenen Temperament. Dass Gespräche manchmal nicht wirklich in Gang kommen, liegt dabei weniger am Drehbuch, sondern unterstreicht letztlich nur die These von den Unterschieden der Lebenswirklichkeiten und Mentalitäten. Bei der Umsetzung mit einer zwar bewegten, aber keinesfalls hektischen Handkamera (Birgit Möller) wagt sich der Film auch an entlegene Schauplätze, hinein in das wahre Herz von Tanger. Der Soundtrack des Libanesen Zeid Hamdan, der traditionelle arabische Klänge mit modernen elektronischen Sounds verschmilzt, sorgt dabei für die passende Untermalung dieser wahrhaftigen Reise in eine fremde Kultur.

Thomas Volkmann

Die Hafenstadt Tanger ist anders als die übrigen marokkanischen oder nordafrikanischen Städte. Sie war früher internationale Zone sowie Freihandelsgebiet und Sammelpunkt
von Schriftstellern, Musikern, Freigeistern oder auch dubiosen Existenzen. Nicht erstaunlich also, dass dieser Film in Tanger spielt, denn er erzählt, wie zwei unterschiedliche Welten aufeinanderprallen. 

Pia und ihr Noch-Freund Tom machen Urlaub in Tanger, weil Tom, der Musiker, sich stark für eine Form alter arabischer Musik interessiert. Das Liebesverhältnis der beiden ist unsicher geworden. Tom wird sich bald zwischen Pia und der Musik entscheiden müssen.

Pia fällt in einer Nachtbar die rassige junge Tänzerin Amira auf. Diese träumt von einer Karriere oder zumindest von einem sie befreienden europäischen Mann, denn nach dem Willen ihrer Verwandtschaft sollte sie den Weg unzähliger arabischer Frauen gehen: keine Ausbildung, früh heiraten, arbeiten, Kinder kriegen, dem Manne untertan sein.

Amira befindet sich deshalb auf der Flucht. Sie muss sich durchschlagen – unter anderem mit vielen Lügen. Sie hat sich einer Gruppe von Frauen um Neshua, Mimita und anderen angeschlossen, eine aufgeweckte Bande, die aber, wenn es sein muss, ihr Leben mit Prostitution fristet.

Tom und Pia freunden sich mit Amira an. Pia könnte ja, so scheint sie zu denken, auf diese Weise Toms Gefühle für sie auf die Probe stellen. Tatsächlich lässt sich dieser von der schönen Amira verführen und verspricht ihr auch Hilfe.

Die Kluft, die sich auftut: Pia und Tom wollen ihrerseits ihre durch Liebe und Freundschaft gekennzeichnete Gefühlswelt ordnen, Neshua, Amira, Mimita und die anderen wollen ganz einfach die urlaubenden Europäer möglichst ausnützen.

Die marokkanischen Damen werden bei einer Razzia von der Polizei geschnappt. Jetzt muss eine Entscheidung getroffen werden über Freundschaft oder Enttäuschung, über Liebe oder Eigennutz, über Loyalität oder Kalkül.

Die Gegensätze sind gut angelegt, das Ambiente der beiden Welten stimmt. Eine gute Drehbuch- und Regiearbeit. Dazu kommt der Schauplatz Tanger, der natürlich pulsierendes Leben und typische Örtlichkeiten bietet. Also gibt es auch etwas zu schauen.

Mit dem Casting hatte Irene von Alberti Glück. Sabrina Ouazani (Amira), Nora von Waldstätten (Pia), Alexander Scheer (Tom), Naima Bouzid (Neshua) und Nohad Sabri (Mimita) geben nicht nur zu keiner Kritik Anlass, sondern spielen natürlich und gut.

Thomas Engel