Tanzträume

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Ein berühmter Künstler, eine Gruppe von Jugendlichen Laien, die in ihrer Freizeit ein Stück einstudieren und schließlich vor großem Publikum vorführen. Vor einigen Jahren war der nach diesem Muster gestrickte „Rhythm is it!“ ein großer Erfolg, nun also „Tanzträume“, statt Simon Rattle steht Pina Bausch im Mittelpunkt, als deren Vermächtnis die Dokumentation in erster Linie interessant ist.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Deutschland 2009 - Dokumentation
Regie: Anne Linsel
Drehbuch: Anne Linsel
Kamera: Rainer Hoffmann
Schnitt: Mike Schlömer
Länge: 89 Min.
Verleih: Realfiction
Kinostart: 18. März 2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

„Kontakthof“ heißt das Stück von Pina Bausch, das im Mittelpunkt dieses Films steht. 1978 zum ersten Mal aufgeführt, erlebte es zwei Neuinszenierungen. 1999 wurde es als „Kontakthof mit Damen und Herren ab 65“ zum ersten Mal mit Laien inszeniert und 2008 als „Kontakthof mit Teenagern ab 14“. Die Proben zur Premiere am Wuppertaler Schauspielhaus im November 2008 beobachtete Regisseurin Anne Linsel und hat daraus diesen Film gemacht. Gut 40 Schülerinnen und Schüler von Wuppertaler Schulen, größtenteils Gymnasien, ließen sich auf das Abenteuer ein, für die meisten ihre erste Berührung mit dem Tanz. Und oft auch das erste Mal, dass sie dem anderen und dem eigenen Geschlecht so nah kamen, ihre Körper als Ausdrucksmittel benutzen, sich auf eine Weise Berühren sollten, die gerade im Teenageralter geradezu verpönt ist.

Doch anders als der sehr ähnlich gestrickte „Rhythm is it!“ verfolgten die beiden Regisseurinnen von Kontakthof – Jo Ann Endicott und Bénédicte Billiet, beides ehemalige Bausch-Schülerinnen – keine dezidiert sozialen Ambitionen. Ein Großteil der jungen Tänzer stammt aus gutbürgerlichem Elternhaus, Schüler mit türkischem oder afrikanischen Hintergrund wirken gut integriert, die Persönlichkeiten der Jugendlichen relativ gefestigt. Dementsprechend „normal“ hören sich ein Großteil der Kommentare der Schüler an, wenn sie über das Stück und ihre Erfahrungen berichten. Nur manchmal gelingt es dem Film einen tieferen Blick zu werfen, lassen sich die Schüler hinter die Fassade blicken. Dann berichten sie von der ungewohnten Situation, ihren Schwierigkeiten sich auf der Bühne, mit den Bewegungen des Tanzes zu öffnen, sich auf eine Weise zu offenbaren und damit verletzlich zu machen, die sie sonst tunlichst vermeiden.

Diese seltenen Momente sind die stärksten Szenen in einer ansonsten sehr schlichten Dokumentation, die darüber hinaus in erster Linie von der sporadischen Präsenz Pina Bauschs lebt. Gelegentlich besuchte die Choreographen zu den Proben, beobachtete wie die Jugendlichen ihre alte Choreographie mit eigenen Erfahrungen ausfüllten, gibt dezente Hinweise und verschwindet wieder zu den eigenen Proben. Es waren einige der letzten Aufnahmen mit Pina Bausch, die im Juni 2009 plötzlich verstarb. „Tanzträume“ zeigt weniger die Choreographin, als die Beschäftigung mit einem ihrer alten Stücke, dass in der nun dritten Inszenierung, zum dritten Mal eine ganz eigene Form annimmt, mit eigenen Erfahrungen angefüllt wird, hinter denen doch immer die Kunst Pina Bauschs zu erkennen ist. Die allerletzten Aufnahmen mit Pina Bausch werden dann demnächst in „Pina“ zu sehen sein, dem gerade entstehenden neuen Film von Wim Wenders.

Michael Meyns

Die 2009 leider viel zu früh verstorbene Tänzerin, Choreographin und Tanzlehrerin Pina Bausch erfand vor vielen Jahren das tänzerische Spiel „Kontakthof“, ein Ballett von den menschlichen Befindlichkeiten handelnd: von der Liebe, vom Weinen, vom Lachen, von der Angst, dem Zorn und der Aggression, von der Brutalität, von der Naivität, von der Scham, kurz, von der ganzen Skala menschlicher Gefühle.

Das Stück wurde viele Male aufgeführt und auch, das ist das Besondere, über Generationsgrenzen hinweg choreographiert. Es gab beispielsweise eine Version mit „Tänzern“ ab 65.

Dieses Mal waren die Jugendlichen an der Reihe, die 14- bis 17jährigen. Die Schulform, die Herkunft, die Rasse oder die Farbe spielte keine Rolle.

Ein Jahr lang dauerten die Proben, Die beiden Probenleiterinnen leisteten gute Arbeit. Unter den Jugendlichen wuchs eine Gemeinschaft heran. Ab und zu kam Pina Bausch selbst zu den Proben.

Mit unbeholfenen Bewegungen fing es an. Dann, allmählich, wuchsen die Jungen und Mädchen in den „Kontakthof“ hinein. Einfach war es für sie jedoch nicht. Wie steigt man von der Disco-Tanzerei auf das Ballett um? Wie berührt man sich? Wie überwindet man seine Scheu, wie seine Scham?

Mit der Zeit sind die Fortschritte unverkennbar. Diejenigen, die Hauptrollen spielen bzw. tanzen dürfen, treten hervor. Die anderen bescheiden sich, rücken in die zweite Reihe, ins corps de ballet.

Die Geduld der Probenleiterinnen ist unendlich. Harte Arbeit.

Die Jugendlichen erzählen auch: von ihrem Familien, vom Tod eines Vaters, vom Krieg auf dem Balkan, vom wachsenden Selbstbewusstsein, von der zunehmenden Freude an dem Tanzprojekt.

Die Zeit drängt. Kostümproben, Generalprobe, nur noch zwei Tage Zeit bis zur Premiere.

Dann die Aufführung, der Erfolg, der Applaus, die Erlösung. Nicht wenige Freundschaften wurden in der neuen Gemeinschaft geschlossen.

Eine schöne Sache und ein menschlich rührender Dokumentarfilm. Ein Blick auf Jugendliche, die hoffen lassen (im Gegensatz zu den in den Medien breit getretenen jugendlichen Gewalttaten).

Formal einfach, mit wechselnden Themenschwerpunkten und gründlich wird alles erzählt. Langsam beteiligt man sich innerlich – und kann sich sogar über den Film freuen.

Für am Thema, an den Jugendlichen und am modernen Tanz Interessierte ein Gewinn.

Thomas Engel