The Deep Blue Sea

Zum Vergrößern klicken

Elf Jahre nach seinem letzten Spielfilm „The House of Mirth“ hatte der englische Regisseur Terence Davies endlich wieder genug Geld zusammen, um das packende Drama „The Deep Blue Sea“ zu drehen. Mit Rachel Weisz in der Hauptrolle inszeniert Davies in durchkomponierten Bildern eine Amour Fou, die nicht nur viel über die Unwägbarkeiten der Liebe erzählt, sondern auch über den Zustand Englands ein paar Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg.

Webseite: www.kinostar.com

England 2011
Regie: Terence Davies
Buch: Terence Davies, nach dem Drama von Terence Rattigan
Darsteller: Rachel Weisz, Tom Hiddleston, Simon Russell Beale, Ann Mitchell, Jolyon Coy, Karl Johnson
Länge: 98 Minuten
Verleih: Kinostar
Kinostart: 27. September

PRESSESTIMMEN:

...

FILMKRITIK:

London um 1950. Hester (Rachel Weisz) hat gerade einen Selbstmordversuch überlebt. In einem etwas schäbigen Zimmer lebt sie mit Freddie (Tom Hiddleston) zusammen, einem ehemaligen Piloten der britischen Luftwaffe. Für ihn hat sie vor Monaten den Richter Sir William (Simon Russell Beale) verlassen. Nicht weil der wesentlich ältere Mann sie schlecht behandelt oder sie ihr Leben in der britischen Oberklasse nicht genossen hätte. Es war schlicht und ergreifend die Liebe, die sie aus der Bahn geworfen hat.

Genau einen Tag erzählt der Film, darin ganz der Einheit der Zeit folgend, die im Stück von Terence Rattigan angelegt ist. Immer wieder aber flechtet Terence Davies Rückblenden ein, die Momente des Kennenlernens zwischen Hester und Freddie schildern, aber auch die eklatanten Unterschiede zweier Menschen, die unterschiedliche Aspekte der britischen Gesellschaft repräsentieren. Gegenwart und Vergangenheit fließen ineinander und lassen eine melancholische Atmosphäre entstehen, in der Hester, wie so viele Figuren in Davies Filmen, über ihr bisheriges Leben reflektiert. Ohne ihre Überlegungen auf den Punkt zu bringen, ohne präzise zu benennen, warum sich Hester für Freddie und gegen William entschieden hat, lässt „The Deep Blue Sea“ ein komplexes Bild der hierarchischen britischen Gesellschaft entstehen. Freddie, im Krieg ein erfolgreicher Pilot bei der Luftwaffe, fühlt sich im zivilen Leben zunehmend überflüssig. In Friedenszeiten sind seine Fähigkeiten nicht mehr relevant, seinen Drang nach Wettkampf, nach Sieg und Niederlage versucht er mit exzessivem Tennis- und Golfspiel und der britischen Nationalbeschäftigung, dem Wetten zu kompensieren. Dass er damit seine spärlichen finanziellen Mittel noch weiter reduziert, stört ihn nicht. William dagegen ist ein distinguierter, stets überkorrekter Gentleman alter Schule. Warum Hester ein schönes, angenehmes Leben für eine kurzfristig intensive, aber von offensichtlichen Hindernissen geprägte Liebe aufgegeben hat, kann er nicht begreifen.

Eine der vielen Qualitäten von „The Deep Blue Sea“ ist, dass die Gegensätze zwischen den beiden Männern nicht übertrieben dargestellt werden. Es ist im Gegenteil sogar William, mit dem Hester sich besser zu verstehen scheint, der sie augenscheinlich respektiert, während Freddie in seiner Gier nach Leben oft die kleinen Dinge vergisst. Ein Leben mit ihm, den sie zwar liebt, erscheint Hester genauso unmöglich, wie eine Rückkehr zu dem liebenswerten William, den sie nicht liebt. „Caught between the devil and the deep blue sea“ nennt der Engländer so eine Wahl zwischen Not und Elend, wie man im Deutschen vielleicht sagen würde. Und diese unmögliche Entscheidung, die Hester zu Beginn des Films zu ihrem Selbstmordversuch trieb, beschreibt Davies in der ihm eigenen Atmosphäre. Die eingestreuten Rückblenden, die sich keiner klaren Struktur unterwerfen, deuten auf die früheren Filme des Engländers hin, in denen Davies noch deutlich experimenteller agierte. Doch schon „The House of Mirth“ eine Verfilmung des Romans von Edith Wharton und ebenfalls mit dem Schicksal einer unabhängigen Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft beschäftigt, deutete eine Entwicklungen zum größeren Publikum an. Und das kann man diesem Film nur wünschen, der mit exzellenten Darstellern, exquisiter Bilder (hinter der Kamera stand der deutsche Kameramann Florian Hoffmeister) und ausgefeilten Dialogen eine ganz eigene und außerordentlich einnehmende Atmosphäre entstehen lässt.

Michael Meyns