The Father

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Anthony ist ein 80 Jahre alter Mann, der an fortschreitender Demenz leidet. Doch er will keine Hilfe annehmen und weigert sich, sein Schicksal anzuerkennen. Das Drama „The Father“ schildert schmerzhaft ehrlich und beeindruckend wahrhaftig, was Demenz mit den Opfern und Angehörigen macht. Der besondere Coup des Films ist die gewählte Perspektive, die das Geschehen konsequent aus Sicht des Erkrankten zeigt. Ein beeindruckendes, aufschlussreiches filmisches Erlebnis, in dem vor allem der nachdrücklich aufspielende Anthony Hopkins Akzente setzen kann.

Website: www.tobis.de/film/the-father

Großbritannien 2020
Regie: Florian Zeller
Drehbuch: Florian Zeller, Christopher Hampton
Darsteller: Anthony Hopkins, Olivia Colman,
Imogen Poots, Rufus Sewell
Länge: 98 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 26.08.2021

FILMKRITIK:

Anthony (Anthony Hopkins) leidet unter Demenz in fortgeschrittenem Stadium. Helfen lassen will er sich nicht, auch wenn dies bitter nötig wäre: Denn das Leben in seiner großen Wohnung in London überfordert ihn zunehmend. Und seine Tochter, Anne (Olivia Colman), die mit Anthony in der Wohnung lebt, verliert mehr und mehr die Geduld mit ihrem Vater. Erschwerend kommt hinzu, dass Anne bald mit ihrem Mann (Rufus Sewell) nach Frankreich ziehen wird – und Anthony damit völlig auf sich allein gestellt wäre. Da Anthony immer häufiger Dinge verlegt und er die fremde Frau (Olivia Williams) in der Wohnung, die behauptet seine Tochter zu sein, nicht zuordnen kann, bleibt nur eins: die Pflegerin Laura (Imogen Poots) soll aushelfen und Anthony unterstützen. Gelingt es ihr, zu dem alten Mann durchzudringen?

„The Father“ ist das Spielfilmdebüt des französischen Schriftstellers und Dramatikers Florian Zeller, der bislang hauptsächlich Theaterstücke schrieb. Ungemein (stil)sicher und mit einer eigenen inszenatorischen Handschrift bewegt er sich durch dieses Demenz-Drama, das zwei inhaltliche Schwerpunkte behandelt, die alles andere als leichte Kost sind: eine komplexe Vater-Tochter-Beziehung und den sich zunehmend verschlechternden Zustand eines Mannes, der sich selbst vergisst.

Dass Debütant Zeller bei diesen anspruchsvollen Themen nicht ins Straucheln gerät ist der Tatsache geschuldet, dass er seine Charaktere und ihre Motivationen bestens kennt und versteht. Kein Wunder, hat Zeller hier doch sein eigenes Theaterstück verfilmt, welches bereits bei der Premiere 2012 für Furore sorgte. Das empathische Moment, das er seinen Protagonisten entgegenbringt, geht ganz unvermittelt auch auf den Betrachter über.

Das Außergewöhnliche ist Zellers Herangehensweise: Er schildert das Geschehen fast ausnahmslos aus dem subjektiven Blickwinkel von Anthony. Damit verzichtet er gleichzeitig auf die (distanzierte) Perspektive etwa der Verwandten oder Familienmitglieder, aus deren Sicht viele andere Filme rund um das Thema „Demenz“ erzählt werden. Zeller nutzt zudem bewusst Verschiebungen, Täuschungen sowie Kontraste. Und er setzt für ein und dieselbe Person verschiedene Schauspieler ein, um beim Zuschauer Chaos und Verwirrung zu stiften. Nur damit wir alles so sehen und wahrnehmen wie Anthony. Man beginnt, ebenso wie der Demenzkranke, an der Realität und der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Dies ist ein herausragender Schachzug, der seine volle Wirkung entfaltet.

Differenziert und reflektiert präsentiert Zeller die heimtückische, nicht heilbare Krankheit mit all ihren schwerwiegenden Symptomen und Folgen für die Betroffenen. Und er verfügt mit Anthony Hopkins über einen brillanten, begeisternd agierenden Hauptdarsteller, der alle Phasen der Krankheit glaubhaft vermittelt.

Zum Beispiel wenn Anthony wieder einmal überall Intrigen sieht und sicher ist, dass sich seine Tochter gegen ihn verschworen hat („Sie führt etwas im Schilde“). Oder er mit seinen heftigen, unvermittelten Hasstiraden und Stimmungsschwankungen jeden um sich herum vergrault – einschließlich seiner Pflegerinnen. Dann wiederrum werden diese schmerzhaften Momente gebrochen mit Szenen vergänglichen Glücks und großer Fröhlichkeit, die Anthony mit sich im reinen und zufrieden zeigen. Dann tanzt er auch schon mal vor Freude, macht Scherze oder zeigt sich ganz Gentleman-like und charmant. Doch diese fragilen Augenblicke der Sorglosigkeit werden immer seltener. Und letztlich stellt sich Anthony an einer Stelle des Films die Frage aller Fragen, die das Kernproblem der Demenz zusammenfasst: „Wer bin ich eigentlich?“

Björn Schneider