The Holdovers

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Mit „Sideways“ feierte Alexander Payne seinen größten Erfolg, für den er auch mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Seitdem plätschert seine Karriere etwas dahin, was vielleicht erklären mag, warum er mit seinem neuen Film „The Holdovers“ erneut seinen damaligen Hauptdarsteller Paul Gimatti auf eine Selbstfindungsreise schickt, die nicht so pointiert wie damals abläuft, aber als nostalgisches Road Movie funktioniert.

USA 2023
Regie: Alexander Payne
Buch: David Hemingson
Darsteller: Paul Giamatti, Da’Vine Joy Randolph, Dominic Sessa, Carrie Preston, Andrew Garman, Tate Donovan, Gillian Vigman

Länge: 133 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: Januar 2024

FILMKRITIK:

Mit einem zerkratzten Firmenlogo beginnt „The Holdovers“, die Bilder wirken verwaschen, als wären sie aus den Siebzigern, doch der Film ist von heute. Die Welt jedoch, die er zeigt, ist längst vergangen, zumindest in oberflächlicher Hinsicht. Kurz vor Weihnachten im Jahre 1970 beginnt die Geschichte, an einer kleinen Internatsschule im amerikanischen Nordosten. Hier fristet der Lehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) ein eher karges Dasein, wird weder von seinen Kollegen und schon gar nicht von seinen Schülern mit allzu viel Respekt behandelt. Was zum einen daran liegt, dass er ein eher bärbeißiger Lehrer ist, der sich gerne über die Unfähigkeit seiner Eleven lustig macht, zum anderen daran, dass er überdeutlich schielt und zum anderen einen beißenden Fischgeruch an sich hat, zumindest wird das behauptet.

Bald ist Weihnachten und dieses Jahr fällt es Hunham zu, in der Schule zu bleiben, um die sogenannten Holdovers zu betreuen, Schüler, die über die Feiertage nicht zu ihren Eltern können – oder deren Eltern lieber ihre Ruhe haben, statt sich mit ihrem Nachwuchs herumzuschlagen. Einer dieser Holdovers ist Angus (Dominic Sessa), eigentlich ein guter Schüler, der aber seine Arroganz noch etwas zu offensiv vor sich herträgt, um zu verstehen, was er mit seinen Qualitäten erreichen könnte.

Ein paar etwas konstruierte Wendungen später (das Drehbuch von David Hemingson wirkt bisweilen etwas arg gewollt) sind alle Holdover-Schüler bis auf Angus verschwunden, allein die Haushälterin Mary Lamb (Da’Vine Joy Randolph) leistet dem Lehrer-Schüler-Duo Gesellschaft beim wenig weihnachtlichen Essen. Und bringt die Truppe bald auf den Weg, denn Angus hat den Wunsch geäußert, ein paar Tage im nicht zu fernen Boston zu verbringen, eine Exkursion, die Hunham als schulische Aktivität betrachten kann und der er deswegen zustimmt.

Man mag sich keinen anderen Schauspieler in der Rolle des Paul Hunham vorstellen als Paul Giamatti, der es wunderbar versteht auf den ersten Blick wenig sympathische Figuren zu spielen, dabei aber doch ihren gut versteckten menschlichen, von Verletzungen geprägten Kern durchscheinen zu lassen. Dass diese Figur so deutlich an seinen verhinderten Schriftsteller aus „Sideways“ erinnert mag man verschmerzen. Nach einigen weniger erfolgreichen Filmen versucht Alexander Payne mit „The Holdovers“ auf Nummer sicher zu gehen und bewegt sich in bekannten Gefilden. Ein wenig plätschert das Road Movie zwar dahin, biegt an den erwartbaren Stellen ab, führt natürlich zu einer Annäherung von Lehrer und Schüler, die im Laufe der Geschichte beide wertvolle Lektionen lernen.

Immer wieder deutet Payne jedoch einen größeren Rahmen an, lässt Hunham von den Kriegen der alten Griechen berichten, spielt auf den damals gerade währenden Vietnamkrieg an, der die amerikanische Gesellschaft zu zerreißen drohte, arm und reich, schwarz und weiß trennte und schlägt den Bogen zu den Konflikten der Gegenwart. Ganz unterschiedlich laufen die Konflikte ab, aber doch ähnlich, die Fehler der Vergangenheit wiederholend. Ob es aus diesem ewigen Kreislauf einen Ausweg geben kann ist die Frage, die unter der Oberfläche von „The Holdovers“ mitschwingt. Wenn am Ende dann sowohl Hunham als auch Angus ihre kleinen Lebenslektionen gelernt haben und einen melancholischen Abschied hinter sich haben mag man das als kleinen Hoffnungsschimmer verstehen, dass sich auch das große Ganze ändern kann, wenn im kleinen Veränderungen möglich sind.

 

Michael Meyns