Preisgekrönt und auf eigenwillige Weise faszinierend: „The Secret Agent“, ein zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur spielender Mix aus Politthriller und Gesellschaftsdrama mit schrägen Einlagen, macht es dem Publikum nicht gerade leicht, hat aber einiges über Repression, Korruption, das Erinnern und Vergessen zu sagen. Mittendrin: Charakterkopf Wagner Moura, der für seine Performance als verfolgter Technologieexperte in Cannes als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde. Auch wenn es anfangs vielleicht etwas schwerfällt, sich auf Kleber Mendonça Filhos neuen Film einzulassen – spätestens im letzten Drittel wird das Ausharren belohnt.
Über den Film
Originaltitel
O Agente Secreto
Deutscher Titel
The Secret Agent
Produktionsland
BRA,FRA,NDL,DEU
Filmdauer
160 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Mendonça Filho, Kleber
Verleih
Port au Prince Pictures GmbH
Starttermin
06.11.2025
Was genau passiert hier eigentlich? Warum befindet sich der Protagonist auf der Flucht? Vor wem muss er sich in Acht nehmen? Und in welchem Verhältnis stehen viele der Figuren zueinander? Regisseur und Drehbuchautor Kleber Mendonça Filho legt keinen großen Wert darauf, die Zuschauer brav und artig in die Welt seines vierten Spielfilms „The Secret Agent“ einzuführen. Beziehungen und Hintergründe bleiben erstaunlich lange nebulös. Und statt kontinuierlich vorwärtszufließen, verlässt die Erzählung des Öfteren ihre Hauptfigur, mäandert mal hierhin, mal dorthin. Wer auf die sorgsam durchgetaktete Hollywood-Dramaturgie geeicht ist, braucht womöglich ein bisschen Zeit, um Mendonça Filhos Ansatz anzunehmen.
Klar ist auf jeden Fall Folgendes: Im Jahr 1977, also zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur, taucht ein Mann unter dem Decknamen Marcelo (Wagner Moura) während der Karnevalsfeierlichkeiten in der Hafenstadt Recife in einem Wohnhaus unter, das diverse Regimeflüchtlinge beherbergt. Dona Sebastiana bietet den Verfolgten ein Refugium und ist ein toller Beleg dafür, wie ein Film selbst durch kleine Elemente große Lebendigkeit entfalten kann. Aus Tânia Marias Darbietung, die Altersweisheit und Direktheit bestechend verbindet, erwächst eine aufregende Figur, der man jederzeit abnimmt, dass sie schon viel gesehen und durchgemacht hat.
Unter dem Dach der betagten Dame findet Marcelo fürs Erste Unterschlupf. Sein Plan ist es allerdings, irgendwann mit seinem aktuell bei den Schwiegereltern wohnenden Sohn Fernando einen Neustart zu wagen. Für den Moment muss er sich indes ruhig verhalten und tritt in einer örtlichen Behörde eine Stelle an. Derweil machen sich zwei Auftragskiller auf den Weg nach Recife.
Was einen stetig ansteigenden Spannungsbogen vermuten lässt, läuft eine ganze Weile überraschend gemächlich ab. Ohne Eile verfolgt der Regisseur Marcelos Bewegungen in der neuen Umgebung und gönnt sich immer wieder teils skurrile Abstecher, etwa, wenn er sich vor dem Kino und einem Großwerk des Horrorfilms verneigt. Noch dazu tut sich im Mittelteil völlig unerwartet eine Gegenwartsebene auf, die man erst kurz vor Schluss richtig einordnen kann. Das Mosaik, das „The Secret Agent“ von der brasilianischen Gesellschaft, von der Korruption im System Ende der 1970er-Jahre entwirft, ist reizvoll. Manchmal schweift der sorgsam ausgestattete Film aber auch zu sehr ab. Einige Seitenblicke hätte er sich durchaus sparen können. Ein kurioser Kurzauftritt Udo Kiers zum Beispiel scheint vor allem einen Grund zu haben: In der internationalen Koproduktion stecken deutsche Gelder!
Gleichwohl entwickelt das Katz- und Maus-Spiel um Marcelo mit zunehmender Dauer echte Sogwirkung, wozu die verspielte Musik von Tomaz Alves Souza und Mateus Alves ebenso beiträgt wie Hauptdarsteller Wagner Moura. Der Situation seiner Figur entsprechend, legt er anfangs große Zurückhaltung an den Tag. Immerhin will es Marcelo tunlichst vermeiden aufzufallen. Als sich die Schlinge um seinen Hals langsam zuzieht, schlägt sich die Bedrohung auch in der nun unruhigeren Performance des durch die Netflix-Serie „Narcos“ weltweit bekannt gewordenen Brasilianers nieder. Eine wunderbar austarierte Leistung, die in Cannes zu Recht mit einem Preis gewürdigt wurde. Was „The Secret Agent“ darüber hinaus so interessant macht: Dass Kleber Mendonça Filho en passant Machostrukturen seziert und in den letzten zehn Minuten eine Diskussion über das Erinnern und das Vergessen der Schrecken aus der Diktaturzeit anstößt. Es lohnt sich also, am Ball zu bleiben!
Christopher Diekhaus

				





