The Untamed

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Zurückhaltend waren die Filme von Amat Escalante noch nie, bislang allerdings vor allem von einem schonungslosen Realismus geprägt, mit denen er die Missstände und Abgründe der mexikanischen Gesellschaft auslotete. Das tut Escalante zwar auch in seinem vierten Film „The Untamed“, der durch einen Twist in Richtung Body-Horror allerdings etwas aus dem Gleichgewicht gerät.

Webseite: www.the-untamed.com

La región salvaje
Mexiko 2016
Regie: Amat Escalante
Buch: Amat Escalante & Gibrán Portela
Darsteller: Ruth Ramos, Simone Bucio, Jesús Meza, Eden Villavicencio, Andrea Peláez, Osca Escalante, Bernarda Trueba
Länge: 98 Minuten
Verleih: Forgotten Film Entertainment
Kinostart: 11. Januar 2018

FILMKRITIK:

In der kleinen Stadt Guanajuato in Zentralmexiko lebt Alejandra (Ruth Ramos) mit ihren zwei kleinen Söhnen und ihrem Mann Angel (Jesús Meza), der seinem Namen wenig Ehre macht.  Ruppig behandelt er seine Familie, dazu ist er von einer latenten Homophobie geprägt, die im katholischen, konservativen Mexiko allerdings an der Tagesordnung ist. Dennoch hat er eine Affäre mit Alejandras Bruder Fabian (Eden Villavicencio), einen Pfleger im lokalen Krankenhaus, der durch seine offene Homosexualität ein Außenseiter ist.
 
Bei der Arbeit begegnet Fabian eines Tages Veronica (Simone Bucio), die eine tiefe Wunde am Körper hat, angeblich von Hunden, doch in Wirklichkeit verursacht durch ein bizarres Wesen mit zahllosen Tentakeln. Dieses haust in einer Kammer im Haus von zwei Schamanen, die verirrten Seelen, Suchenden mit dem Wesen konfrontieren, das mit seinen Tentakeln mit den Menschen verschmilzt und ihre innersten Sehnsüchte und Gedanken weckt, was bei manchen Klarheit auslöst, bei anderen Verwirrung.
 
Wie ein Wesen aus einem frühen Dacid Cronenberg-Film wirkt die heimliche Hauptfigur aus Amat Escalantes „The Untamed“, auf den ersten Blick wie ein Monster, ein überdimensionierter Käfer, ein bisschen schleimig und nicht nur dank seiner vielen Tentakel etwas eklig, aber auch faszinierend, ja, sinnlich. Unerklärlich ist die Existenz dieses Wesens, das abseits der Gesellschaft haust und als eine Art Katalysator dient, als Zugang zum Unterbewussten der Figuren. Zumindest in das der Frauen, denn (leider) sind es nur Frauen, die sich mit dem Tentakel vereinen, deren nackte Körper von den Armen des Tentakels umschlungen werden, jedoch nie Männer und das obwohl sich Escalantes Film dezidiert mit den homophoben Vorurteilen des zeitgenössischen Mexikos auseinandersetzt.
 
Die schildert er mit dem typischen Realismus, der seine früheren Filme wie „Sangre“ und vor allem „Heli“ auszeichnete, die mit harschem, ungeschöntem Blick auf die Missstände und Abgründe der mexikanischen Gesellschaft blickten, die Brutalität und Verrohung zeigten. Weite Teile von „The Untamed“ funktionieren ähnlich, zeigen in spröden, funktionalen Bildern das Leben von Alejandra und ihrer Familie, das bald durch den brutalen Mord an Fabian zerstört wird.
 
Doch immer wieder driftet die Handlung an den Rand der Gesellschaft, in die Wildnis, wo das Tentakelwesen haust, wo einst ein Meteorit gelandet ist – in dessen Einschlagskrater sich in einer besonders merkwürdigen Szene einmal dutzende Tiere paaren – in eine traumartige Nebenwelt. Die Bezüge allerdings bleiben vage, Verbindungen mag man eher ahnen, sich zusammenreimen, als das Escalante mehr als lose Zeichen setzt. So dicht und kraftvoll wie etwa „Heli“ ist „The Untamed“ dadurch nie, zu unbestimmt die Geschehnisse, zu künstlich das Gegenüberstellen von Realismus und Phantastik. Neue Wege geht Escalante also mit seinem vierten Film, entwickelt seine Filmsprache und seine Inhalte, kann damit aber nur bedingt überzeugen.
 
Michael Meyns