Anders Thomas Jensen („Helden der Wahrscheinlichkeit“) liefert eine bittersüße Mixtur aus rabenschwarzem Humor, brutaler Gewalt, existenziellen Abgründen und familiären Konflikten. Das ist makaber und düster, aber auch oft irgendwie herzlich und manchmal richtig komisch, obwohl immer die Möglichkeit besteht, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Die Geschichte von zwei sehr unterschiedlichen Brüdern, die einen verlorenen Schatz suchen, ist kein gemütlicher Film – im Gegenteil: Er provoziert mit seinem bösen Humor und einer absurden Komik und mit einer auf den ersten Blick zynischen Auffassung vom Leben.
Über den Film
Originaltitel
Den sidste viking
Deutscher Titel
Therapie für Wikinger
Produktionsland
DEN, SWE
Filmdauer
116 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Jensen, Anders Thomas
Verleih
Neue Visionen Filmverleih GmbH
Starttermin
25.12.2025
Am Beginn steht eine Animationssequenz, in der es um zwei Wikinger-Brüder geht – die Bedeutung erschließt sich später. Der Wechsel in die Realität zeigt eine Tasche voller Geld in einem Schließfach und den Gangster Anker, der das Geld beim Überfall auf einen Geldtransport erbeutet hat. Er zwingt seinen geistig beeinträchtigten Bruder Manfred dazu, den Schließfachschlüssel zu schlucken. Später soll er die Beute holen und an einem sicheren Ort vergraben.
15 Jahre später wird Anker aus der Haft entlassen und will die Beute ausgraben. Doch Manfred hat komplett alles vergessen, was damals passiert ist. Durch seine Persönlichkeitsstörung lebt er in einer anderen Welt, fernab der Realität, er hält sich für John Lennon und reagiert sehr empfindlich auf alles, was ihm nicht gefällt oder was er als Angriff auf seine Person versteht. Dann springt er auch schon mal aus dem nächsten Fenster oder aus einem fahrenden Auto.
In der Hoffnung, Manfreds/Johns Erinnerungen zu wecken, reist Anker mit seinem Bruder an die Orte der Kindheit, zu ihrem ehemaligen Elternhaus und zurück in ihre gemeinsame schmerzliche Vergangenheit. Dabei werden sie verfolgt von Flemming, Ankers früherem Komplizen, der ebenfalls Anspruch auf die Beute erhebt und vor nichts zurückschreckt, um die Spur der Brüder zu finden.
Jensen verbindet in seinem Drama um gestörte und verstörte Männer Momente von brutalem Realismus mit einer Unmenge an surrealen Einfällen: Manfred und Anker sind beide seit ihrer Kindheit schwer traumatisiert und auf ihre Art vollkommen haltlos. Schreckliche Erinnerungen haben sie unterschiedlich kompensiert – der eine wurde wahnsinnig, der andere zum Verbrecher. Beklemmende Szenen von schwer erträglicher Gewalt, aber auch in ihrer Düsterkeit exquisit fotografierte Bilder wechseln sich hier ab. Finstere Wälder, verlassene Innenräume und das alte Elternhaus spiegeln die seelische Verwüstung wider, mit der die beiden Brüder auf unterschiedliche Weise umgehen.
„Jetzt schlafen wir erstmal, und morgen früh finden wir heraus, wer wir sind.“ Das ist ebenso komisch wie tiefsinnig. Denn Anders Thomas Jensen treibt nicht nur mit Entsetzen Scherz, sondern er inszeniert mit sicherem Gespür für das Groteske und Böse – und für Schadenfreude, was oft geschmacklos wirkt – sowie mit seinem typischen, irgendwie sehr skandinavischen Humor, getrieben von der Liebe zu seinen Figuren, die er gnadenlos durch emotionale Abgründe jagt. Der großartige Mads Mikkelsen spielt Manfred absolut hinreißend mit einer verstörenden Zartheit und mit der Naivität und Weisheit eines Kindes auf der Schwelle zwischen kompletter Ahnungslosigkeit und Berechnung. Sein Spiel oszilliert zwischen kindlicher Zerbrechlichkeit und eruptiver Verzweiflung. Nikolaj Lie Kaas macht aus Anker einen aggressiven Getriebenen, der Verantwortung und Schuld zugleich trägt, aber weder tragen will noch kann. Ob die beiden Brüder sich wirklich mögen oder ob sie nur durch das Schicksal miteinander verbunden sind, spielt dabei keine Rolle. Zusammen mit zwei Psychiatriepatienten und unterstützt von einem merkwürdigen Psychologen gründen die Brüder eine Art „Beatles-Revival-Band“, um Manfreds Erinnerungen zu befeuern. Allerdings singen sie vorzugsweise „Abba“-Songs. So schrecklich die Komik manchmal ist, so folgerichtig ist sie auch. Um diesen Film zu genießen, braucht es Geduld und den Willen, sich auf diese Komik und den tieferen Sinn dahinter einzulassen. Und dann wird plötzlich alles ganz klar – und Anders Thomas Jensen entpuppt sich als heimlicher Moralist.
Gaby Sikorski







