Als durch und durch japanischen Film könnte man Tatsunari Ôtas „There is a Stone“ bezeichnen, als minimalistische Studie über das Leben, über zwei Menschen, die sich treffen, ein wenig Zeit miteinander verbringen und wieder auseinandergehen und dabei doch viel erleben. Gleichermaßen Nichts und Alles passiert in den 100 Minuten eines Films, der Geduld verlangt und belohnt.
Ishi ga aru
Japan 2022
Regie & Buch: Tatsunari Ôta
Darsteller: Ogawa An, Kanou Tsuchi
Länge: 104 Minuten
Verleih: Fugu Filmverleih
Kinostart: 23. November 2023
FILMKRITIK:
Eine junge Frau aus Tokio, deren Namen wir nicht erfahren (Ogawa An) kommt in eine namenlose, eher nichtssagende Stadt außerhalb der Metropole. Für einen Reiseveranstalter soll sie die Sehenswürdigkeiten auskundschaften, doch die Ruinen eines Schlosses finden sich nicht. „Gibt es hier irgendwas“ fragt sie einen Taxifahrer, der lange über eine Antwort nachdenkt, aber dann keine geben kann.
Ein paar Kinder spielen am Rand des Flussbettes Fußball, bald darauf trifft die Frau einen etwas seltsam anmutenden älteren Mann (Kanou Tsuchi), der Steine übers Wasser springen lässt. Sie macht mit und ein Reigen an kleinen Spielen beginnt, mit denen das ungleiche Duo einige Stunden verbringt: Mit Stöcken heben sie einen größeren Stock auf und balancieren ihn, sie stellen sich an den Rand einer Grube, bis der Sand abbricht und sie hinunterrutschen.
Irgendwann trennen sie sich, der Mann geht nach Hause und notiert in einem Tagebuch penibel, was er an diesem Tag erlebt hat, die Frau verläuft sich, übernachtet in einem verlassenen Büro und fährt am nächsten Tag nach Hause. Aus dem Zug sieht sie den Mann im Flussbett stehen und Steine springen lässt.
Als Plot mag man den Inhalt von Tatsunari Ôtas zweitem Film „There is a Stone“, der bei der diesjährigen Berlinale in der Forum-Sektion seine Premiere hatte, kaum bezeichnen. Was Ôta zeigt sind Situationen, Beobachtungen, die für sich genommen vollkommen irrelevant sind, über 100 Minuten aneinandergereiht aber einen eigenwilligen Sog entwickeln.
Als Spiel mit Erwartungen könnte man „There is a Stone“ verstehen, als Dekonstruktion filmischer Konventionen, die den Zuschauer dahingehend konditioniert haben, etwas ganz bestimmtes zu erwarten: Wenn zwei Menschen sich in einem Film begegnen, beginnt normalerweise eine wie auch immer geartete Beziehung zwischen ihnen, wenn es ein Mann und eine Frau sind, nicht selten eine erotische Begegnung, wenn es ein etwas seltsam anmutender Mann und eine deutlich jüngere Frau ist, mag man eine Gefahrensituation befürchten, vielleicht eine Entführung oder schlimmeres.
So verfolgt man in „There is a Stone“ das Geschehen mit unterschwelliger Spannung, erwartet, dass sich aus der Begegnung der Frau und des Mannes etwas entwickelt, das etwas passiert – doch dieses Gefühl wird immer wieder unterlaufen. Dass das nicht langweilig wird ist die große Überraschung eines Films, der schlicht, aber präzise gefilmt ist, im zunehmend wieder beliebten 4:3-Format, unspektakulär, aber doch in jedem Moment faszinierend. Geduld muss man zwar ohne Frage mitbringen, aber diese Geduld wird mit einem Film belohnt der zeigt, das oft auch im Nichtigen, im Flüchtigen, eine ganz eigene Schönheit verborgen liegt.
Michael Meyns