Töte mich

Zum Vergrößern klicken

Oh weh oh weh. Da will ein junges Bauernmädel nimmer leben, hat aber nicht die Courage, sich in den Freitod per Sprung in einen gebirgigen Abgrund zu begeben. Ein entlaufener Häftling, dem sie bei der Flucht hilft, soll’s nun richten. Was die sich argwöhnisch beäugende Zwangsgemeinschaft in Emily Atefs Drama auf ihrem Weg von Süddeutschland nach Marseille erlebt, ist zwar in teils eindrucksvollen Cinemascope-Bildern festgehalten, die Psychologie der nach Freiheit hier und dem Tod da strebenden Figuren gibt ebenso Rätsel auf wie sie Interpretationsmöglichkeiten einschränkt.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

Deutschland/Frankreich/Schweiz 2011
Regie: Emily Atef
Mit: Maria Dragus, Roeland Wiesnekker, Wolfram Koch, Christine Citti, Anne Bennent, Robert Hunger-Bühler
91 Minuten
Verleih: Farbfilm Verleih
Kinostart: 5.7.2012

PRESSESTIMMEN:

...

FILMKRITIK:

Adele lebt mit ihren Eltern auf einem Bauernhof. Eine glückliche Familie, das merkt man bald, ist das hier nicht. Doch warum die 15-Jährige sich das Leben nehmen möchte, dafür liefert der Film zwar Gründe, jedoch keine, die die Verzweiflung wirklich nachvollziehbar machen würden. Es sind wohl Vorwürfe, die Adele sich wegen des Todes ihres Bruders macht, der bei einem Mopedunfall ums Leben kam. Das Gefühl, eine Mitschuld an seinem Tod zu tragen, wird von den Eltern auch nicht unbedingt abgemildert. Insofern kommt Adele ein aus der Haft entflohener Mörder, der sich auf dem Bauernhof der Eltern versteckt, wie gerufen, um ihr bei ihrem Selbsttötungsansinnen jenen nötigen letzten Schucker zu geben, den sie nicht übers Herz bringt. Andernfalls, so droht sie ihm, würde sie ihn an die Polizei verraten. Ein seltsamer Pakt, auf den sich der grobschlächtig wirkende und etwa drei Mal so alte Timo einlässt.

Man fragt sich da: wer ist hier eigentlich wessen Geisel? Beide Figuren haben ein Ziel, für das sie einander brauchen. Dass zwischendurch mal so etwas wie Verständnis für den anderen erwächst – zum Beispiel als Timo zu spüren glaubt, Adele würde aus mangelder menschlicher Zuneigung, Wärme und Anerkennung so handeln – wird sich immer als Trugschluss erweisen, dafür sind die beiden einfach doch zu verschieden. Das Spiel mit den menschlichen Abgründen, es lässt hier nicht in die Tiefe blicken, sondern funktioniert letztlich nur über die Zerrissenheit ihrer geschundenen Seelen.

Zu den vielen offenen Fragen im Verhalten der Figuren kommen weitere in Sachen Glaubwürdigkeit. Interessant ist, dass jenes bisschen Annäherung, das Emily Atef ihren Protagonisten zugesteht, nicht über Dialoge geschieht, sondern in leichten, kaum spürbaren Veränderungen von Mimik und Gestik äußert, welche von Kameramann Stéphane Kuthy („Die Frau mit den fünf Elefanten“) durch die Positionierung der Figuren in Raum und Landschaft vollzogen werden. Eine Landschaft übrigens, die manchmal die romantische Vorstellung nach einem Happy-End unterstützt.

In diesem Drama werden Täter zu Opfern, was gegen Ende auch auf jene Szene in Marseille passt, in der der Stiefbruder Timos (Wolfram Koch) eine entscheidende Rolle spielt. Bei all der Sprödigkeit der Handlung tut man also gut daran, beim guten und reduzierten Spiel der beiden Hauptdarsteller genauer hinzuschauen. Maria Dragus, die 2010 den Deutschen Filmpreis für ihre Nebenrolle der Pfarrerstochter in Michael Hanekes „Das weiße Band“ erhielt, wie auch der Schweizer Roeland Wiesnekker sorgt mit ihrer unaufgeregten Spielweise für fesselnde, zwischen Abgrund und Menschlichkeit pendelnde Momente frei von jeglicher Sentimentalität, Wiesnekker verkörpert mit seinem manchmal triebhaften animalischen und gehetzten Verhalten fast etwas Psychopathisches. Am Ende wird man sich fragen, ob dies für beide nicht doch nur der Anfang einer gemeinsamen Reise gewesen sein wird. Die Freiheit jedenfalls haben beide vor Augen.

Thomas Volkmann

.