In ihrem ersten englischsprachigen Film beschäftigt sich Julia von Heinz einmal mehr mit den Schatten der deutschen Vergangenheit, dem Holocaust. In Form eines Roadmovies erzählt „Treasure“ vom schwierigen Umgang mit der Vergangenheit und einem Vater-Tochter-Verhältnis, das von ihm geprägt und belastet ist
Treasure
Deutschland/ Frankreich 2023
Regie: Julia von Heinz
Buch: Julia von Heinz und John Quester, nach dem Roman „Zu viele Männer“ von Lily Brett
Darsteller: Lena Dunham, Stephen Fry, Zbigniew Zamachowski, Iwona Bielska, Maria Mamona, Wenanty Nosul, Klara Bielawka, Magdalena Celówna
Länge: 112 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 26. September 2024
FILMKRITIK:
Polen, 1991. Nach dem Ende des Kalten Krieges öffnet sich der Eiserne Vorhang. Auch die jüdisch-amerikanische Journalistin Ruth (Lena Dunham) will die Gelegenheit nutzen, um endlich Antworten über ihre Vergangenheit zu erhalten. Zusammen mit ihrem Vater Edek (Stephan Fry) reist sie in dessen alte Heimat, wo Edek und seine vor einem Jahr verstorbene Frau 1940 vertrieben und ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurden.
Auch dorthin führt das ungleiche Vater-Tochter-Duo die Spurensuche, auf der sie in Edeks Kindheitswohnung in Łódź auf unfreundliche Polen treffen, die Jahrzehnte nach Ende des Krieges noch alte Erinnerungsstücke der Familie besitzen, während ihr Fahrer Stefan (Zbigniew Zamachowski) ihnen hausgemachte polnische Köstlichkeiten serviert.
Während Edek der Reise nur widerwillig zugestimmt hat und seine Vergangenheit lieber ruhen lassen möchte, bohrt Ruth unaufhörlich, in der Hoffnung, klare Antworten zu bekommen. Nur langsam versteht sie, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist und erfährt gerade dadurch viel über ihren Vater, ihre Familie und sich selbst.
Gerade in Zeiten, in denen der Antisemitismus zunimmt, scheint es angebracht, sich mit der deutschen Vergangenheit zu beschäftigen, mit Zweitem Weltkrieg und Holocaust und den nicht nur emotionalen Folgen, die diese Verbrechen hatten. Insofern könnte man Julia von Heinz „Treasure“ als Film verstehen, der genau zur richtigen Zeit kommt. Aber wir leben auch in Zeiten von „The Zone of Interest“, einem Film über den Holocaust, der seinem Thema Aspekte abgewinnt, die neu, ungewöhnlich und radikal sind, Adjektive, mit denen man „Treasure“ nicht beschreiben kann.
So wie seine Form, das Roadmovie, bewegt sich Julia von Heinz’ Film auf einer gerade Straße, nimmt keine überraschenden Abzweigungen, verfährt sich nicht einmal in Sackgassen, sondern malt das, was vom ersten Moment sichtbar wird, beflissentlich aus. Mit Stephen Fry und Lena Dunham bietet der Film immerhin zwei Hauptdarsteller auf, die perfekt gecastet wirken. Dunham, vor allem bekannt aus der Serie „Girls“, spielt erneut eine besserwisserische New Yorkerin, die nur langsam versteht, dass auch sie nicht alles versteht, während der Engländer Fry einmal mehr einen jovialen Bär von einem Mann gibt, der seine sensible Seite lange zu verstecken weiß.
Leider gibt das Drehbuch dem überzeugenden Duo wenig Substanzielles zu spielen mit, sondern schickt es auf eine Reise durch die Vergangenheit, die stets an der Oberfläche bleibt. Mal niederträchtigen, mal sympathischen Polen begegnet das Duo, besucht Orte der Vergangenheit, erst die alte Wohnung, die längst von Polen beschlagnahmt wurde, dann die Fabrik, die der Familie einst gehörte und schließlich Auschwitz.
Beflissentlich bemüht wirkt „Treasure“ in jedem Moment, souverän gefilmt, die Tristesse des gerade vom Eisernen Vorhang befreiten Polens treffend einfangend, aber inhaltlich allzu behäbig. Ähnlich wie dem vor kurzem im Kino zu sehende „Stella - Ein Leben“ gelingt es auch „Treaure“ nicht, seinem fraglos wichtigen Thema neue Aspekte abzugewinnen, sondern bleibt stets auf der sicheren Seite, die man im deutschen Kino in den letzten Jahrzehnten allerdings schon sehr oft gesehen hat.
Michael Meyns