TYRANNOSAUR – Eine Liebesgeschichte

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Aus England kommt diese zarte und zugleich intensive Liebesgeschichte. Inszeniert und erdacht hat sie Paddy Considine, der zuvor vor allem als Schauspieler auf sich aufmerksam machte. Die Grundidee und Figuren aus „Tyrannosaur“ sind Considines eigenem Kurzfilm „Dog Altogether“ entnommen, den er vor vier Jahren ebenfalls mit Peter Mullan und Olivia Colman in den Hauptrollen abdrehte. Für die nun vorliegende Langfassung gab es beim renommierten Sundance Filmfestival gleich drei Preise – darunter jeweils einen für die beiden Hauptdarsteller, deren mutiges Spiel mit Sicherheit noch lange im Gedächtnis bleiben dürfte.

Webseite: www.24bilder.net

OT: Tyrannosaur
GB 2011
Regie & Drehbuch: Paddy Considine
Darsteller: Peter Mullan, Olivia Colman, Eddie Marsan, Ned Dennehy, Sally Carman
Laufzeit: 89 Minuten
Kinostart: 13.10.2011
Verleih: Kino Kontrovers, Vertrieb: 24 Bilder

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Kann man Empathie für einen Mann empfinden, der gleich in der ersten Szene aus offenbar angestautem Frust seinen Hund auf brutale Weise erschlägt? Joseph (Peter Mullan) ist alles andere als ein Sympathieträger und doch gelingt es Paddy Considine in seinem bereits mehrfach ausgezeichneten Film, dass sich der Zuschauer schon bald auf die Seite seines vom Leben gezeichneten Antihelden stellt. Joseph bereut seine schreckliche Tat bereits in dem Moment, in dem er sie begeht. Später trauert er in stiller Verzweiflung um seinen einzigen treuen Freund. Die Kampf gegen die eigenen Aggressionen, gegen Wut und Verzweiflung sind Josephs andere Wegbegleiter, von denen er nicht loszukommen scheint. Immer wieder suchen sich diese ein zerstörerisches Ventil.

Auf der Flucht vor sich selbst landet Joseph eines Tages im kleinen Charity-Laden von Hannah (Olivia Colman). Sanft, verständnisvoll und ohne Vorbehalte nähert sie sich ihrem Gast, der zunächst hinter einem Berg aus Anziehsachen ihren Blicken zu entkommen sucht. Auch seine anfänglichen Zurückweisungen nimmt sie ebenso wie sein beißender Spott über ihren Glauben ohne jede Kränkung hin. Das imponiert Joseph, der allmählich spürt, dass er sich zu Hannah auf eine ganz besondere Art hingezogen fühlt. Offenbar geht es seiner neuen Bekannten ähnlich, doch dem sich langsam entwickelnden Glück steht Hannahs unglückliche Ehe mit einem tyrannischen Ekel im Weg. Ihr Mann James (Eddie Marsan) – Typ Biedermann –demütigt und drangsaliert seine Frau bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit.

In „Tyrannosaur – Eine Liebesgeschichte“ führt das Schicksal – oder je nach Interpretation auch eine höhere Macht – zwei zutiefst verwundete, in mehrfacher Hinsicht verletzte Seelen zusammen. Der Verlauf ihrer besonderen Beziehung mag nicht sonderlich überraschend oder gar spektakulär erscheinen, dafür liegen hier versteckt in kleinen Beobachtungen, Details und Gesten die größten Entdeckungen. Schauspieler, Regisseur und Autor Paddy Considine erzählt in einfachen, klaren Bildern von einer ehrlichen, aufrichtigen und intensiven Liebe, die für beide zum letzten Rettungsanker werden soll. Dabei geht von der Geschichte trotz der im englischen Arbeitermilieu allgegenwärtigen Härte und Tristesse eine besondere Poesie aus. Wenn Hannah und Joseph sich langsam näherkommen, dann hat dieses Kennenlernen fast etwas von einer unschuldigen Teenager-Liebe. Der Kontrast zu Josephs eruptiven Gewaltausbrüchen und den sadistischen Demütigungen durch Hannahs Noch-Ehemann könnte jedenfalls größer kaum sein.

Es ist genau dieses Spannungsfeld aus roher Gewalt und zarter Liebe, dem der Film seine Intensität und Kraft verdankt. Dazu kommen schlichtweg großartige Schauspieler. Peter Mullan und Olivia Colman verkörpern ihre schwierigen, oftmals widersprüchlichen Charaktere voller Hingabe und mit dem sicheren Gespür für jeden einzelnen Blick. Gerade der mit vielen „Working Class“-Rollen verbundene Mullan liefert einmal mehr eine kompromisslose Vorstellung. Für den auf düstere Charaktere abonnierten Eddie Marsan blieb hingegen nur die Rolle des triebgesteuerten Monsters, über das man abseits seiner sadistischen Neigungen leider kaum etwas erfährt. Offenbar war die Mühe und Genauigkeit, welche Considine für die anrührende Darstellung der Beziehung zwischen Hannah und Joseph aufbrachte, an diesem Punkt aufgezehrt.

Marcus Wessel

Eine englische Stadt. Sozialwohnungsviertel. Dort lebt Joseph. Er ist ein äußerlich ziemlich vernachlässigter Typ, mit seinen gleichartigen Kumpels beim Bier und beim Glücksspiel in Kneipen herumhängend, oft unbeherrscht und jähzornig, ja sogar brutal. Dazu hat vielleicht auch beigetragen, dass er vor fünf Jahren seine dicke, diabeteskranke Frau verlor, die er in Anlehnung an eine bestimmte Szene in dem Film „Jurassic Park“ Tyrannosaur nannte.

Seine Unberechenbarkeit hat Joseph wieder einmal einen Streich gespielt. Er ist danach am Boden zerstört, landet vor dem für Wohltätigkeitszwecke eingerichteten Laden von Hannah. Die weiß zuerst nicht, wie ihr geschieht, fürchtet sich. Doch als sie, die fromme Frau, Josephs wirklichen Zustand bemerkt, nimmt sie sich seiner an, tröstet ihn, sagt ihm, dass Gott ihm helfen werde, betet für ihn. Der Mann kann mit dem religiösen Getue nichts anfangen.

Joseph bleibt abweisend und für sich allein, bittet Hannah ein paar Tage später aber doch, am Todesbett seines krebskranken Freundes ein Gebet zu sprechen. Der Leichenschmaus wird dann eine richtig lustige Feier.

Dass Hannah, die helfende, selbst dringend Hilfe braucht, weiß niemand. Denn sie hat einen Mann, der sie misshandelt, verfolgt, offenbar geistig nicht in Ordnung ist. Als sie einmal vor ihm davonlaufen muss, findet sie bei Joseph eine vorübergehende Bleibe.

Nach Hause zurückgekehrt, wird sie von ihrem Mann erneut geschlagen und vergewaltigt. Jetzt kann sie nur noch zum Allerletzten greifen. Sie wird dafür ins Gefängnis gehen müssen.

In Joseph hat sich nicht zuletzt am Beispiel Hannahs mit der Zeit eine Wandlung vollzogen. Es ist jetzt sogar die Zeit gekommen, wo die beiden sich lieben können.

Ein extrem hartes, fast dokumentarisches, quasi realistisches Drama um zwei Menschen, die psychisch unterschiedlich ja gegensätzlich geartet sind, deren Lebenswege eigentlich nichts miteinander zu tun haben, die aber das Schicksal und die beiderseitige Hilfsbedürftigkeit zusammenführt.

Geistig ist das Geschehen plausibel konzipiert, dramatisiert ist es wahrlich meisterhaft. Die Atmosphäre und das Milieu erscheinen in allen Situationen stimmig. Dazu keine Authentizität suggerierende Handkamera, sondern stabile große Bilder.

Die Intensität, mit der Olivia Colman als Hannah und Peter Mullan als Joseph spielen, sieht man selten. Hannah kann anderen Trost spenden und doch selbst zutiefst erschüttert und verwundet sein. Olivia Colmans Darstellung dieser Frau ist großartig. Das genau Gleiche gilt für Peter Mullan und seinen sich abkapselnden, trotzigen, zornigen und später zur Besinnung kommenden Joseph. Kein Wunder, dass es 2011 in Sundance Preise für die beste Darstellerin und den besten Darsteller gab. (Das gilt übrigens auch für die Regie von Paddy Considine.)

Zhomas Engel