Ummah – Unter Freunden

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Im berühmt-berüchtigten Berliner Problemkiez Neukölln siedelt Cüneyt Kaya seinen Film „Ummah – Unter Freunden“ an. Und es sind auch die Beobachtungen über das ganz normale arabisch-islamische Leben, die zu den stärksten Momenten des Films zählen und ein Bild islamischer Kultur in Deutschland liefern, das weit weg von Klischees und Vorurteilen ist.

Webseite: www.senator.de

Deutschland 2013
Regie, Buch: Cüneyt Kaya
Darsteller: Frederick Lau, Kida Khodr Ramadan, Burak Yigit, Mona Pirzad, Sami Nasser, Robert Schupp
Länge: 104 Minuten
Verleih: Edition Senator
Kinostart: 12. September 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Schwerverletzt schleppt sich der verdeckte Ermittler Daniel (Frederick Lau) zu seinem Auto. Bei einem Einsatz gegen Rechtsradikale hat er zwei Verdächtige getötet und hat nun erstmal genug von seinem Job. Sein Vorgesetzter gönnt ihm eine Auszeit – ausgerechnet in Berlin Neukölln, zumindest in jenem Teil des berühmt-berüchtigten Stadtviertels, in dem arabisch oder türkischstämmige Bewohner in der Mehrheit sind. In einer heruntergekommenen Wohnung haust Daniel fortan, ein paar Hundert Euro „Urlaubsgeld“ stehen zur Verfügung, doch noch nicht einmal einen Fernseher besitzt er.

Den will er beim libanesischen Händler Abbas (Kida Khodr Ramadan) kaufen, der zusammen mit seinem jungen Kompagnon Jamal (Burak Yigit) Handys, Radios und alles mögliche andere vertickt. Besonders Abbas erweist sich als sympathischer Mensch, der sich auch nicht von Daniels extrem zurückhaltender, fast misstrauischer Art abschrecken lässt. Er lädt den Deutschen zu einer Hochzeit ein, wo Daniel Zeuge der Alltagsrealität für arabisch aussehende Menschen wird: Eine Polizeistreife nimmt Abbas mit auf die Wache, ohne wirklichen Grund, ein ganz gewöhnlicher Vorgang in Abbas Welt.

Bald beginnt Daniel mit Abbas und Jamal zusammenzuarbeiten, lernt Teehäuser und Islam-Kurse kennen, wird zum Teil der Gemeinde. Auch seine attraktive Nachbarin Dina (Mona Pirzad) freundet sich mit ihm an, doch seine Vergangenheit lässt Daniel nicht los: Sein Vorgesetzter beim Verfassungsschutz fordert ihn auf, Beweise gegen seine neuen Freunde zu sammeln, wenn nötig auch zu erfinden, denn man braucht gerade ein Ablenkungsmanöver für eigenes Versagen. Daniel steht vor einer schwierigen Entscheidung.

„Ummah – Unter Freunden“ zerfällt immer wieder in zwei Teile: Auf der einen, der weniger überzeugenden Seite geht es um den Verfassungsschutz, verdeckte Ermittler, werden allerlei düstere Andeutungen über Machtmissbrauch und fragwürdige Aktivitäten in den Raum geworfen, die letztlich nirgendwo hin führen. Viel überzeugender und der Grund warum Cüneyt Kayas Debütfilm dennoch sehenswert ist, ist die zweite Ebene: Der Schilderung des Alltagsleben islamischer Bürger. Kaya selbst ist zwar türkischer Herkunft, doch sein Film spielt im arabischen Milieu des Libanesen Abbas um dessen Darsteller Kida Khodr Ramadan das Drehbuch entstand. Und so verwundert es auch nicht, dass Kays Film in diesen Momenten fast wie eine Dokumentation wirkt, das Leben in Teestuben, einem der typischen Elektronikshops Neuköllns, aber auch einem islamischen Kindergarten so authentisch wirkt.

In seinen besten Momenten erinnert das an eine Milieuzeichnung wie sie Fatih Akin in seinem besten Film „Kurz und Schmerzlos“ gelungen ist, allerdings ohne dessen dramatische Kraft zu erreichen. Die soll durch die Verflechtung mit dem Schicksal des Verfassungsschutzagenten Daniels erzeugt werden, der jedoch eine allzu unbestimmte Figur bleibt. Im Gegensatz dazu wirken Ababs, Jamal und die meisten anderen arabischen Figuren überzeugend, sind ihre Versuche, in der deutschen Gesellschaft einen Platz zu finden glaubhaft. In diesen Momenten ist Cüneyt Kayas „Ummah – Unter Freunden“ ein starkes Abbild einer anderen deutschen Realität, authentisch, leibenswert und frei von Stereotypen und Klischees.

Michael Meyns

Ein zweifellos nicht unwichtiger Film, denn er zeigt Lebensumstände und Probleme auf, die ebenso realistisch sind wie aktuell.

Daniel Klemm hat soeben bei einem Auftrag für den Verfassungsschutz zwei Nazis getötet, die nicht unbedingt hätten sterben müssen. Deshalb will er aussteigen. Er bekommt zunächst einmal drei Monate Urlaub, eine geheime Wohnung und 500 Euro zugebilligt. Berlin-Neukölln ist nun sein Zuhause.

Daniel ist verstört, unsicher, unentschlossen.

Als er in einem Handy-Laden einen alten Fernseher kaufen will, trifft er auf Abbas und Jamal. Abbas ist anders als alle Menschen, mit denen Daniel bis jetzt zu tun hatte: freundlich, gutherzig, gastfreundlich, jedem seine Chance gebend.

Abbas nimmt Daniel mit auf eine arabisch-muslimische Hochzeit. Dann muss er allerdings zusehen, dass Daniel nichts unternimmt, als Jamal und er als Ausländer von der Polizei gefilzt und abtransportiert werden. Daniel darf mit zum Koran-Unterricht, wo auf seinem Rücken ein verdächtiges Tattoo entdeckt wird. Die neu gewonnene Freundschaft wäre zu Ende, würde Abbas sich nicht derart intensiv dafür einsetzen.

Langsam erkennt Daniel die ihm entgegengebrachte Menschlichkeit.

Und als der Verfassungsschutz wieder vor der Tür steht und Daniel dazu bewegen will, Ausländer – evtl. Abbas und Jamal – oder Nazis auszuliefern, weil die Verfassungsschützer einen Erfolg brauchen, um einen Korruptionsskandal zu verdecken, weigert sich Daniel.

Er hat den richtigeren Weg und er hat vor allem Freunde gefunden.

Die Globalisierung umfasst die Wirtschaft ebenso wie die Politik, die Nationalitäten ebenso wie die Kultur, die Religionen ebenso wie leider auch die Kriminalität. Abbas praktiziert die menschliche Globalisierung, Daniel lernt sie. „Ummah“ (arabisch: Gemeinschaft) ist ein aktueller, wirklichkeitsnaher wenn auch manchmal leicht klischeehafter, filmisch adäquater Beitrag zu dieser gewichtig gewordenen Problematik.

Auffallend gut spielt vor allem Kida Khodr Ramadan als Abbas. Es ist ein Vergnügen, ihm zuzuschauen. Frederick Lau hat den zweifelnden, zögernden, lange suchenden Daniel gut im Griff.

Thomas Engel