Unschuld

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„Unschuld“ ist ein weiterer deutscher Ensemblefilm, der in Berlin spielt und anhand einer handvoll Figuren ein Panorama der Gegenwart beschreiben will. Regisseur Andreas Morell und Drehbuchautor Kai Hafemeister geben sich redliche Mühe, die Hintergründe und Motivationen ihrer Figuren im Unklaren zu lassen, vermutlich um die Universalität des Gezeigten zu betonen. Dies führt allerdings dazu, dass die Distanz zu den ohnehin nicht glaubwürdigen Figuren noch größer wird. Ein Film, dessen Ideen besser sind als die Ausführung.

Webseite: novapoolpictures.de

Deutschland 2008
Regie: Andreas Morell
Buch: Kai Hafemeister
Darsteller: Kai Wiesinger, Tobias Oertel, Michael Kind, Aylin Tezel, Leslie Malton, Young- Shin Kim, Luise Berndt
94 Minuten, Format: 1:2,35 (Scope)
Verleih: novapool
Kinostart: 18. September 2008

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Es gibt einige Gründe, weswegen der Ensemblefilm eine der beliebtesten Formen des Kinos ist. Das Prinzip, nicht von zwei, vielleicht drei Hauptfiguren zu erzählen, sondern gleich von einer handvoll Figuren, verspricht auf den ersten Blick eine große Vielfalt, die Chance ein universelles Thema von verschiedenen Seiten zu betrachten, sich in einem Film an unterschiedlichsten Stilen zu versuchen. Diese zerstückelte Erzählform, bei der stets nur kurz bei einer Figur, einer Episode verweilt wird um rasch weiterzuspringen, oder oft weiterzuschalten, scheint der sich ständig beschleunigten Gegenwart zusätzlich entgegenzukommen. Die vielen Figuren suggerieren einen Mehrwert, versprechen etwas viel größeres, bedeutenderes zu erzählen, als eine „einfache“ Geschichte mit wenigen Hauptfiguren. Dass die Summe aller Teile nicht automatisch mehr ist, dass der Ensemblefilm im Gegenteil eines der schwierigsten Genres ist, dass nur ganz wenige Filmemacher beherrschen wird dabei gerne ignoriert. Selbst bei Robert Altman, Großmeister der Form und offensichtliches Vorbild, findet neben den „Short Cuts“ auch etliche „Pret-a-Porters“. Aus vielem kleinen ein großes Ganzes zu machen, in kürzester Zeit runde Charaktere zu zeichnen ist eine große Kunst, die offensichtlich ebenso unterschätzt wird, wie in der Literatur die Kurzgeschichte.
 

An Andreas Morells Film lässt sich exemplarisch erkennen, was die Chancen und Fallen dieser Form sind, in die gerade ein im Kino unerfahrener Regisseur leicht treten kann. Zugegebenermaßen hat es sich Ortell mit der Wahl von Kai Hafemeisters Drehbuch auch nicht leicht gemacht, denn das ist voll von Figuren, die, um es vorsichtig auszudrücken, nicht viel mit der Realität zu tun haben. Das eine dieser Figuren ein freundlicher, mitfühlender Berliner Busfahrer ist, lassen wir mal so stehen. Viel bizarrer ist da die von Kai Wiesinger gespielte Figur: Ein Bundestagsabgeordneter, der mit einer vietnamesischen Prostituierten Opium raucht und sein Mandat von einem Tag auf den anderen abgibt. Oder die Polizistin, die früher als Nacktmodell gearbeitet hat, inzwischen mit einem russischen Fotografen verheiratet ist, der mit Vorliebe Achselhöhlen fotografiert. Dazu kommen dann noch die üblichen Verdächtigen: Eine schöne Prostituierte, die in ihre Heimat zurück will, ein brutaler Zuhälter, eine rätselhafte Schöne, die dem Busfahrer im Nachthemd vor den Wagen läuft.

Aus diesem Wust an Figuren soll nun ein Porträt unserer Zeit entstehen, voller Tragik und großer Emotionen, mit viel Sex, Drogen und Tod. In ansehnlichem Scope wird das erzählt, weitestgehend frei von den üblichen Berlin-Bildern, die man im deutschen Kino und Fernsehen längst zur genüge gesehen hat. Wären da nur nicht die Figuren und Geschichten, die sich größtenteils fernab der Realität abspielen würden. Natürlich gibt es auch gelungene Momente, berührende Szenen, überraschende Einfälle. Allzu oft aber führt der Versuch in bruchstückhaften Andeutungen zu erzählen, weit mehr auszulassen als zu zeigen, zum Gegenteil des intendierten Effekts. Denn wenn man erst nach dem Film, bei einem Blick ins Presseheft, entscheidende Informationen über die Figuren und ihre Hintergründe erfährt, dann ist da so einiges schief gegangen.

Michael Meyns