Verführt und verlassen

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James Toback gehört zu den großen unbekannten Regisseuren der USA. Auf sein Konto gehen Meisterwerke wie „Finger – Zärtlich und brutal“. In seinem neuen Film beschäftigt er sich mit seiner größten Obsession: dem Filmemachen selbst. Mit seinem Freund Alec Baldwin besucht er das Filmfestival von Cannes und sucht vor laufender Kamera Finanziers für seinen neuen Film. Daraus entsteht eine Reflektion über eine Glitzerwelt, die in Wahrheit ein hartes Geschäft ist. Zu Wort kommen Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und viele andere Größen.

Webseite: www.weltkino.de

Originaltitel: Seduced and Abandoned
USA 2013
Buch und Regie: James Toback
Produzenten: Michael Mailer, Alec Baldwin, James Toback
Länge: 98 Minuten
Verleih: Weltkino Filmverleih
Kinostart: 10. Juli 2014
 

Pressestimmen:

"Wie funktioniert das Filmgeschäft heute? Alec Baldwin und James Toback wollen es herausfinden und fahren mit einem Konzept für ein erotisches Politdrama nach Cannes. 'Verführt und verlassen', der Dokumentarfilm über ihre Bemühungen, ist Liebeserklärung und Abgesang zugleich. (...) Ein wunderbar unterhaltsamer Film."
Der Spiegel

FILMKRITIK:

James Toback will einen neuen Film machen. Eine Agentengeschichte, die im Nahen Osten spielt und sich lose an Bertoluccis „Der letzte Tango in Paris“ anlehnt. Die Hauptrollen will er mit Alec Baldwin und Neve Campbell besetzen. Allein, es fehlt das liebe Geld. Also reisen Toback und Baldwin 2011 zum Filmfestival nach Cannes, um auf dem dortigen Filmmarkt mögliche Produzenten zu finden. Der Weg führt sie von Filmfinanziers zu Milliardären, aber über das geplante Budget in Höhe von 10 bis 15 Millionen Dollar können alle nur milde lächeln. Die Zeiten, in denen ein Produzent bereitwillig seinen Geldbeutel öffnete, weil ihn ein Projekt begeisterte, sind eindeutig vorbei. Heute reden Marketing-Abteilungen mit, und es werden aufwändige Marktanalysen erstellt. Davon können auch Martin Scorsese, James Caan, Berenice Bejo oder Roman Polanski ein Lied singen, die Toback zum Interview trifft.
 
Man versteht James Toback gründlich falsch, wenn man „Verführt und verlassen“ als Abgesang auf die Filmkunst liest oder als Rückwendung in ein vermeintlich goldenes Zeitalter. Obwohl der Film durchaus die Tendenz hat, verklärend zurückzublicken und die Gegenwart wenig gelten zu lassen. Immerhin kommen in den Interviews nur gealterte Regisseure wie Scorsese, Coppola, Polanski und Bertolucci zu Wort. Sie alle hängen in melancholischen Reminiszenzen ihren Erinnerungen nach. Aber Toback verkennt nicht, dass es zu allen Zeiten schwer war, einen Film zu finanzieren. Immerhin stammt der Satz, der „Verführt und verlassen“ vorangestellt ist, schon von Orson Welles: „Ich blicke zurück auf mein Leben, und es besteht zu 95 Prozent daraus, Geld für Filme aufzutreiben, und zu fünf Prozent daraus, sie tatsächlich zu machen“. Ironie des Schicksals: Tobacks Film finanzierte ausgerechnet der Pay-TV-Sender HBO.
 
Tobacks Filmessay will also nicht eigentlich eine Debatte befeuern, die auch andere Regisseure wie Steven Soderbergh, George Lucas und Steven Spielberg losgetreten haben, als sie wegen der immer schwierigeren Finanzierung ihrer Filme den baldigen Niedergang der ganzen Industrie voraussagten. „Verführt und verlassen“ schlägt einen viel freieren, assoziativen Ton an. Es geht um die Faszination, die Filme immer noch ausstrahlen und immer ausstrahlen werden – um das Bedürfnis nach der Erhöhung des Alltäglichen, nach Glamour und Ruhm. Vor allem aber danach, die Zeit anhalten und – folgt man Toback – den Tod aufhalten zu können. Gegen die Fruchtlosigkeit dieses Unterfangens wirkt die Welt der Business-Meetings und Finanzierungsgespräche natürlich außerordentlich profan. Ein Gegensatz, der dem Film schon immer immanent ist und den Toback wunderbar herausarbeitet: Kunst und Produkt, Magie und Industrie. So bekommt „Verführt und verlassen“ einen elegischen Unterton und feiert den Film als größte aller Künste und endloses Faszinosum, in dem man sich verlieren kann. Daneben ist Tobacks Film allein schon wegen der vielen Anekdoten großer Künstler für jeden Cineasten ein Altar, vor dem er niederknien kann.
 
Oliver Kaever