Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen

Zum Vergrößern klicken

Als Äbtissin, Visionärin, Naturheilkundlerin und Komponistin gehört Hildegard von Bingen zu den großen Gestalten des Mittelalters, deren Wirkung bis in die heutige Zeit anhält. Ein weiteres Mal nach „Rosa Luxemburg“ verkörpert Barbara Sukowa unter der Regie von Margarethe von Trotta meisterlich eine herausragende Frauengestalt der Geschichte. Das Porträt überzeugt vor allem in seinen stillen, klaren Momenten, in denen das Werk und die Person Hildegards besonders anschaulich zum Ausdruck kommen. Hier gelingen der Regie beeindruckende Bilder, die in ihrer strengen Komposition perfekt zum Thema passen. Trotz der kammerspielartigen Inszenierung ist der Film kein spröder Schulfilm, sondern ein spannendes Biopic über eine hochaktuelle Frau.

Webseite: www.vision-derfilm.de

Deutschland 2009
Regie und Buch: Margarethe von Trotta
Kamera: Axel Block
Musik: Chris Heyne
sowie Originalkompositionen von Hildegard von Bingen
Darsteller: Barbara Sukowa, Hannah Herzsprung, Heino Ferch, Lena Stolze, Alexander Held
Start: 24.9.2009
Verleih: Concorde
 

PRESSESTIMMEN:

...

FILMKRITIK:

Mit gerade einmal acht Jahren wird die adlige Hildegard auf Wunsch ihrer Eltern in das Benediktinerkloster Disibodenberg gebracht. Dort hat der strenge Abt Kuno das Sagen. Er gibt Hildegard in die Obhut der sechs Jahre älteren Jutta von Sponheim (Mareile Blendl). Die junge Frau wird zur Mentorin des Mädchens. Sie fördert Hildegards großes musikalisches Talent und unterweist sie in dem Wissen der damaligen Zeit. Als Jutta bereits vor dem Erreichen des vierzigsten Lebensjahr stirbt, muss Hildegard schockiert feststellen, dass sich ihre Lehrmeisterin auf selbstmörderische Weise zu Tode kasteit hat. Für Hildegard wird das Erlebnis zum Anlass, als neu gewählte Leiterin der Frauenabteilung eine andere Art der Gottverehrung zu propagieren. Nicht das Leid, sondern die Liebe soll die Menschen zu Gott führen. Gemäß ihrem Credo, dass der Geist und der Körper als Ganzes gesehen werden müssen, führt sie die Gemeinschaft der Schwestern. Die Nonnen erleben unter ihrer Anleitung, wie wichtig Musik und Gesang für die Seele sein können und erlernen die heilenden Kräfte von Kräutern und Pflanzen. So liebevoll Hildegard im Umgang mit ihren Schwestern und den Kranken ist, so energisch und kämpferisch vertritt sie gegen über Dritten ihre Ansichten und Interessen. Solche Entschlusskraft ist von Nöten, denn in der Welt des Mittelalters hat die Stimme einer Frau in der Regel kaum Gewicht. In zähen Ringen mit dem Abt Kuno versteht es Hildegard, sich durchzusetzen. Bestärkt durch ihre religiösen Visionen, die sie seit frühster Kindheit überkommen, führt ihr Kampf um einen selbstbestimmten Weg endlich zu einer eigenen Klostergründung auf dem Ruppertberg bei Bingen. Dabei gelingt es ihr, wichtige Persönlichkeiten wie den mächtigen Ordensführer Bernhard von Clairvaux, Papst Eugen III und auch Kaiser Friedrich Barbarossa von ihrer Sache zu überzeugen. Doch auch Niederlagen bleiben nicht aus. Die Schwerste ist wohl die Trennung von ihrer geliebten Schülerin Richardis von Stade. Das Mädchen war im Alter von sechzehn Jahren aus freien Stücken ins Kloster gekommen, um an Hildegards Seite zu leben. Zwischen der klugen und schönen Schülerin und ihrer charismatischen Lehrmeisterin entwickelt sich ein inniges Verhältnis, das weit über die normale Verbundenheit unter den Schwestern hinausgeht. Umso größer ist für Hildegard der Schock, als Richardis mächtige Mutter und ihr Bruder die junge Frau Jahre später aus dem Kloster herauskommandieren, damit Richardis selber die Leitung eines wichtigen Klosters in Norddeutschland übernehme. Hildegard kann den Abschied nicht verhindern und gerät in eine tiefe Krise, die ihr alle Lebensgeister zu rauben scheint. Doch insgeheim weiß sie, dass ihr Werk noch nicht vollendet ist und es gilt, weiter zu kämpfen.

Als mächtige Äbtissin, kraftvolle Visionärin, wegweisende Heilkundlerin und begnadete Komponistin gehört Hildegard von Bingen (ca. 1098 – 1179) zu den ganz großen Universalgenies des Mittelalters. Nicht nur ihre spirituelle Musik, sondern auch ihr ganzheitliches Denken erlebt zurzeit eine wahre Renaissance. Margarethe von Trotta, die mit Rosa Luxemburg schon eine andere charismatische Frauenfigur für das Kino neu entdeckt hat, entwirft hier das einfühlsame Porträt einer außergewöhnlichen Frau. Und wie im Fall der streitbaren Sozialistin spielt auch diesmal Barbara Sukowa die Hauptrolle. Mit großer Strahlkraft und überzeugender Präsenz zeigt sie Hildegard als gewichtige Persönlichkeit, die aber in ihrem Wirken immer auch Mensch und Frau bleibt. Ohne alle biographischen Etappen ihres Lebens abzuschreiten, legt der Film seinen Fokus auf die stillen Momente des klösterlichen Lebens. In hoch konzentrierten und perfekt komponierten Bildern gibt er dem Betrachter einen Einblick in das Leben der Schwestern. Gerade die kontemplative Kraft und Strenge der Szenen vermittelt Hildegard herausragende Leistung, etwa auf dem Gebiet der Musik, die im Film mehrmals eindrucksvoll ihre Wirkung entfaltet. Souverän geht die Regie auch mit dem heiklen Thema der Visionen um, deren Auftreten in dezenter Wechselwirkung zwischen äußerer Person und innerem Erleben inszeniert wird. Im Glanz der Hauptdarstellerin verblassen gerade die männlichen Darsteller etwas. Heino Ferch wird als ihr Vertrauter Volmar zum Stichwortgeber und eine Szene mit dem sonst so überzeugenden Devid Striesow als Barbarossa fällt in ihrer Aufgesetztheit ganz aus dem Rahmen der sonst eher kammerspielartigen Inszenierung. Einzig das Energiebündel Hannah Herzsprung kann als liebreizende Richardis der Sukowa Paroli bieten. Die intensive, freilich platonische Liebesbeziehung zwischen den beiden Frauen gehört sicherlich zu den ergreifendsten Szenen des Filmes, auch wenn sie bei Kirchenoffiziellen wohl auch Aufgrund ihrer emotionalen Hitzigkeit am Wenigsten auf Gegenliebe stoßen dürfte.

Norbert Raffelsiefen

Ende des ersten, Beginn des zweiten Jahrtausends, Hochmittelalter also. Die katholische Kirche dominiert in Europa das Leben, bringt neben der vom Glauben beherrschten Bevölkerung Fromme und Abergläubische, Heilige und Häretiker hervor. In dieser Zeit lebt Hildegard von Bingen. Schon als achtjähriges Mädchen wird sie einem Kloster übergeben. Beten und arbeiten, glauben und verzichten, schweigen und fasten sind die Hauptgrundsätze.

30 Jahre später. Hildegard vertraut dem ihr nahe stehenden Mönch Volmar an, dass sie Visionen hat, „Gesichter“, wie sie es nennt. Sie sieht Lichterscheinungen, hat Eingebungen, die sie für göttlich hält – auch wenn Zweifel nicht fehlen.

Volmar überredet sie, über das Gesehene und Gehörte Schriften zu verfassen. Einfach wird das nicht, denn der Abt des gemischten Klosters ist skeptisch, muss, um die Schriften genehmigen zu können, die Erlaubnis der Kirchenoberen einholen. Ein schwerer Kampf.

Hildegard darf über ihre Visionen schreiben. Sie entwickelt ein umfassendes Wissen über Religiosität, Spiritualität, Heilpflanzenkunde und auch Musik.

Die Fesseln des gemischten Klosters sind ihr zu eng. Sie, schon längere Zeit „Magistra“, will ihr eigenes Kloster. Entgegen einem früheren Gelübde verwirklicht sie mit den Schwestern, die ihr folgen, diesen Plan. Zuerst ist die neue Gemeinschaft ohne Mittel, ohne Gebäude, ohne Ländereien. Alles muss hat erarbeitet werden.

Doch die geistige Kraft der Hildegard gewinnt die Oberhand. Sie ist jetzt schon so bekannt und so geschätzt, dass sie sogar mit dem Papst und dem Kaiser in Verbindung treten kann.

Mehrere Male erkrankt sie schwer. Ihre größte Stütze ist die Hildegard hoch einschätzende, tiefreligiöse, adelige Nonne Richardis von Stade, eine enge Freundin im Leben und im Geiste. Hildegards schwerste Enttäuschung: Als Richardis sie verlässt, um an anderer Stelle Äbtissin zu werden.

Sie gibt jedoch nicht auf. Sie wird weiter schreiben, sich in der Heilkunde vervollständigen, komponieren, auf Reisen gehen, Lesungen halten, ihre religiösen Empfindungen verbreiten.

Hildegard von Bingen ist eine Gestalt, die heute noch eine gewisse Bedeutung hat. Der visionäre religiöse Aspekt mag verblasst sein, der heilkundliche gewinnt immer mehr an Boden.

Wie sehr die Autorin und Regisseurin des Films Margarete von Trotta von der Figur ihrer Titelheldin eingenommen wurde, spürt man in jeder Szene. Wie sehr muss, gemessen an den Filmen, die sie vor 20, 30 Jahren drehte, ihr Bewusstsein sich geändert haben.

Visionäres ist nicht einfach darzustellen. Man gab sich große Mühe, das Phänomen zum Ausdruck zu bringen. Der – nicht unkomplizierte – Charakter der Protagonistin, die wahrscheinlich fiktive Gestalt des Mönchs Volmar, die Gemeinschaft der Schwestern, die mittelalterliche Zeit, das „emanzipatorische“ Ringen, das überspitzte religiöse Pathos von damals, die zwangsläufige Stilisierung einer nicht zur Genüge geläufigen Epoche, die liturgischen Zeremonien, das gemeinsame Tun, Streben und Beten der Nonnen, das Hildegard entgegengebrachte Unverständnis, der sie treffende Neid, der Kampf gegen die kirchliche Herrscherkaste, das alles ist solide dargestellt – ein paar Mal allerdings zu sehr in der Form von Heiligenbildchen, an die Grenze des Kitsches gehend.

Dennoch: ein besonderer Film, einer der aus der Masse der Produktionen herausschaut, einer der durchaus historisch und religiös interessieren kann.

Charakterlich und geistig überzeugendes Spiel der Barbara Sukowa als Hildegard. Ihr gut zur Seite stehend Hanna Herzsprung als Richardis, Heino Ferch als Volmar, Lena Stolze als Rivalin Jutta oder Sunnyi Melles als Richardis’ Mutter und andere.

Thomas Engel