Vivan las Antipodas

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Der russische Dokumentarfilmregisseur Victor Kossakovsky hat für „Vivan las Antipodas“ eine im Prinzip ganz simple Versuchsanordnung herangezogen. Er hat acht Orte besucht, die sich paarweise auf jeweils genau der entgegengesetzten Seite der Erdkugel befinden. Diese setzt er in Relation zueinander, betont Gemeinsamkeiten, auch wenn diese im ersten Moment nicht unbedingt offensichtlich sind. Herausgekommen sind starke Naturaufnahmen und Alltagsimpressionen vom Leben in einsamen Gegenden ebenso wie in der Metropole Shanghai – versehen mit Folklore oder dräuender Orchestermusik und ab und an bildtechnischen Spielereien. Für das Auge ein Genuss, inhaltlich jedoch schnell durchschaut.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

Deutschland, Argentinien, Niederlande, Chile 2011
Regie: Victor Kossakovsky
Dokumentarfilm
108 Minuten
Verleih: Farbfilm Verleih
Kinostart:23.2.2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Der Gedanke, dass man sich von Deutschland aus senkrecht durch das Erdinnere auf die andere Seite des Globus schaufeln könnte, finden vor allem abenteuerlustige Kinder faszinierend. In Australien oder Neuseeland – Down Under also -, so hieß es immer, könnte man auf diesem Weg einem Maulwurf gleich sein Haupt dem Licht wieder entgegenrecken. Folgt man den Antipodenkoordinaten jedoch exakt, hieße es in Wirklichkeit, auf alle Fälle Badehose und Taucherbrille mitnehmen. Der antipodische Punkt zu Deutschland nämlich liegt weit draußen im Pazifik östlich von Neuseelands Südinsel.

Der Küstenort Castle Point nordöstlich der neuseeländischen Hauptstadt Wellington ist dennoch einer der acht Schauplätze von „Vivan las Antipodas“ – das Gegenstück dazu das spanische Miraflores im kastillischen Scheidegebirge nördlich von Madrid. So ähnlich wie jener gestrandete Wal am neuseeländischen Strand wirkt so mancher Felsbrocken inmitten des scheinbar unberührten, von krabbelndem Kleintier, bevölkerten iberischen Biosphärenreservats. Während hier für einen frisch geschlüpften Schmetterling das Abenteuer Leben beginnt, ist es für den Meeressäuger am anderen der Erde auf tragische Weise zu Ende.

Angelangt beim spanisch-neuseeländischen Antipodenpaar ist das Konzept von Victor Kossakovsky längst durchschaut. Begonnen hat die in oft meditativen und ohne störenden Kommentar auskommenden Bildern dahinfließende Entdeckungstour im argentinischen Entre Rios, einem kleinen Außenposten der Zivilisation, an dem ein mal mehr mal weniger Wasser führender Fluss zwei Brüdern ein Einkommen als Fährmann und Brückenwächter beschert. Schon ihre Vorfahren haben hier dafür gesorgt, dass Fahrzeuge ihren Weg fortsetzen konnten. Viel Verkehr herrscht allerdings nicht, so dass die beiden reichlich Zeit zum Nachdenken und Sinnieren haben.

Gemäß dem dem Film vorangestellten Zitat aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ („Ob ich wohl ganz durch die Erde fallen werde? Lustige Vorstellung, auf der anderen Seite raus zu kommen, und alle Leute würden auf dem Kopf gehen“) stellt Kossakovsky seine Bilder immer wieder auf den Kopf oder dreht die Kamera um ihre vertikale Achse. Dies geschieht vor allem an den Übergängen zu den antipodischen Gegenstücken seiner Erkundungsreise. Ab und an spiegelt er auch die Silhouette zum Beispiel der Skyline von Shanghai im argentinischen Fluss.

Bezogen auf Gegensätze sticht das argentinisch-chinesische Antipodenpaar am stärksten aus dem Quartett heraus, denn auch Shanghai liegt an einem Fluss. Seine Kamera hat Kossakovsky hier am Ausgang einer Fähre während der Rushhour aufgestellt. Schafe hier wie dort, das ist der gemeinsame Nenner der Antipoden Patagonien und Baikalsee und eines einsamen und ungestörten Landlebens vor traumhaften Kulissen. Beim Doppel Hawaii/Botswana liegt die Parallele auf den Strukturen von zäh dahinfließender, teils noch glühenden und an Urechsen erinnernden Lavamasse auf der nördlichen Halbkugel und der dickledrigen Haut von Elefanten im Süden Afrikas. Dass ab und an landestypische musikalische Begleitung die Seiten wechselt, also etwa afrikanische Klänge in Hawaii erklingen und umgekehrt, das gehört ebenso zum Konzept wie die Gegenüberstellung von Stravinsky mit Heavy Metal.

Kossakovsky ging es mit seinem Dokumentarfilm darum, Bilder von der Schönheit der Erde einzufangen. Dies ist ihm zweifelsfrei gelungen. Ob man ihm in punkto Gleichzeitigkeit der Gegensätze folgen mag, hängt vom Betrachter selbst ab. „Vivan las Antipodas“ jedenfalls ist ein Film, der einen dann berühren kann, wenn man bereit ist, sich auf die Vielfältigkeit der Eindrücke und ihrer mystischen Verbindungen zueinander einzulassen.

Thomas Volkmann

Antipoden gibt es eine ganze Menge. Diejenigen, von denen hier die Rede ist, sind die Gegenpole von bestimmten Punkten der Erde. Mit anderen Worten: Was spielt sich „drüben“ ab, würde man die Erde 12.756 Kilometer durchbohren? Von Europa aus wäre es in den meisten Fällen nichts als Wasser.

Der in Berlin lebende russische Dokumentarfilm-Regisseur Victor Kossakovski hat sich der Sache angenommen und die jeweiligen Bilder einander gegenüber gestellt: auf der einen Seite Entre Rios in Argentinien, auf der anderen Shanghai; auf der einen Seite einen Punkt in Patagonien (Südchile), auf der anderen der russische Baikalsee; auf der einen Seite den Ort Kubu im afrikanischen Botswana, auf der anderen Seite eine Vulkaninsel, die zu Hawaii gehört; auf der einen Seite die spanische Region Maiflores, auf der anderen Castle Point, Neuseeland.

Außer dem nebeligen Shanghai mit seinem menschenüberströmten hektischen Tag-und-Nacht-Leben sind es meist Orte, die still, naturhaft und von wenigen Menschen bewohnt sind. Hier sind es die herrlichen Naturaufnahmen, die beeindrucken: grüne Steppe oder hohe Gebirge, majestätischer See oder beeindruckendes vulkanisches Terrain, jahreszeitlich sich verwandelnde Landschaften oder herrliche Tierscharen.

Ein Sonderfall: An der neuseeländischen Küste hat sich ein riesiger Wal verirrt und kam dabei zu Tode. Einfach abzuschleppen ist das Ungetüm nicht, es muss vollständig zersägt werden.

Da wird filmisch die Erde gedreht und gekrümmt, dass man nur so staunt – und sucht.

Übrigens: Sehr gegensätzlich sind nicht nur die hier erfassten Erdteile und Gegenden, gegensätzlich sind vor allem auch die Menschen, von denen sie bewohnt sind – das beste Beispiel bietet Shanghai.

Begleitet werden die zum Teil wirklich sehenswerten Bilder von dramatischer Orchestermusik mit Niveau.

Für Interessierte – die das Ganze auch (ein wenig) als Spielerei verstehen können.

Thomas Engel