Waltz with Bashir

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Weil Ari Folmans Erinnerung an die Zeit des ersten Libanonkrieges in den 80er Jahren verblasst ist, begibt er sich in seinem dritten Film „Waltz with Bashir“ auf eine Spurensuche. Das Besondere daran ist die Form, die der Regisseur und ehemalige israelische Soldat gewählt hat: Seine aufgenommenen, aber später nachgezeichneten Interviews mit einstigen Weggefährten verschmilzt er darin mit apokalyptischen, surrealen Bildern zu einem „animierten Dokumentarfilm“. Das außergewöhnliche, kraftvolle Werk wurde von der Kritik in Cannes zwar hoch gelobt, ging bei der Preisvergabe aber unverständlicherweise komplett leer aus. 

Webseite: waltz-with-bashir.pandorafilm.de

Deutschland/Frankreich/Israel 2008
Regie und Drehbuch: Ari Folman
90 Minuten, Farbe
Verleih: Pandora
Start: 6. November 2008

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Ein Rudel mit 26 Hunden jagt laut durch die Stadt. Zu einer aufreibend pumpenden Musik rennen sie durch die Straßen, bellen aggressiv, sind ausgemergelt und furcheinflößend und stoppen plötzlich vor einem Fenster. Mit diesem Alptraum beginnt Ari Folmans „Waltz with Bashir“. Ein Freund berichtet ihm von diesem Traum, der immer wiederkehrt und von dem sie vermuten, dass er zu ihrer Zeit als israelische Soldaten im ersten Libanonkrieg in den frühen 80er Jahren zurückführt. Ihre Erinnerung an die Kriegserlebnisse und die brutalen, von israelischer Seite gebilligten Massaker der christlichen Phalangisten in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila sind allerdings stark verblasst. Deshalb will der ehemalige israelische Soldat und Filmregisseur Folman seine Lücke im Gedächtnis und die Auswirkungen der Massaker wieder zu füllen.
Diese Suche nach der verschütteten Erinnerung ist die Ausgangssituation für den ungewöhnlichen Animationsfilm „Waltz with Bashir“. Die Form, die der Regisseur dafür gewählt, ist ungewöhnlich: Folman selbst bezeichnet sein in Cannes gefeiertes, bei der Preisvergabe aber völlig übergangenes Werk als einen animierten Dokumentarfilm. „Erinnerung ist dynamisch“, heißt es im Film. „Man füllt die Löcher einfach mit Dingen, die nicht passiert sind.“ Deshalb und weil es so gut wie kein Archivmaterial zu den Ereignissen gibt, hat er die Erinnerungen visualisiert und verschmilzt sie mit Gesprächen mit einstigen Weggefährten und Freunden – ohne dabei allerdings den historischen Kontext näher zu erläutern.

Die hat Folman aufgenommen und ließ auch sie nachträglich im Stil von Richard Linklaters „A Scanner Darkly“ nachzeichnen. Wie Marjane Satrapi, die mit „Persepolis“ ihre eigene Geschichte und damit verknüpft die des Irans zeigte, wählt Folman die gezeichneten Bilder. Allerdings begegnet sein Film dem Thema nicht wie Satrapi mit viel schwarzem und aufmüpfigem Humor, sondern entwirft dunkle, surrealistische Visionen einer Hölle auf Erden, die es damals vor über 20 Jahren wirklich gab. Immer wieder zeigt Folman dabei die albtraumhafte Szene, in der nackte, junge Männer zum harten Takt der Musik nachts aus dem Meer steigen, am Strand ihre Uniformen anlegen und wie Kampfmaschinen zu ihrem Einsatz zurückkehren. Es sind solche kraftvoll beunruhigenden Bilder aus Folmans außergewöhnlichem Experiment, die sich nur schwer abschütteln lassen und lange nachwirken.

Sascha Rettig

 

Seine traumatischen Erinnerungen an ein Massaker im Libanon, bei dem die israelische Armee untätig zusah, verarbeitet der israelische Autor, Regisseur und Produzent Ari Folman in höchst ungewöhnlicher Form. Die Dokumentation mit vielen Gesprächen und Erinnerungen kommt als ästhetisch reizvoller Zeichentrickfilm daher. So verbinden sich surreale Albtraumbilder der Schuld mit dem Zeitgefühl der frühen Achtziger.

Ein Zeichentrickfilm als Dokumentation? Das erscheint dem nüchternen Verstand als Unmöglichkeit oder als Scherz im Abspann eines Pixar-Zeichentrickfilms. Doch in „Waltz with Bashir“ zeigt sich in dunklen Zeichnungen ein Grauen aus den Kriegen im Libanon, das  wohlmöglich in dieser Kunstform erträglicher daherkommt. Auf jeden Fall verstecken die Täter und Zeugen des Massakers in den Palästinenser-Lagern Sabrah und Shatila ihre Aussagen hinter den Farbschichten. Eine Methode, die sicherlich nicht zufällig auch bei der israelischen Dokumentation „Z32“ angewandt wird.

Ein ehemaliger israelischer Soldat sucht seine Erinnerung an einen Kriegseinsatz, der zwanzig Jahre zurück liegt. Das war die Situation des Autors, Regisseurs und Produzenten Ari Folman. Und das ist auch die Situation einer Figur in seinem autobiographischen Film „Waltz with Bashir“. Mit den Träumen von jagenden Bluthunden und Soldaten, die im Wasser treiben, wendet sich ein Soldat darin an seinen Freund Ari. Zusammen suchen sie nach dem Ursprung der surrealen Bilder. Grundlage des Traumas sind die verdrängten Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila im Jahre 1982. Mit Unterstützung der israelischen Armee unter der Führung des späteren Premierministers Sharon wurden am Rande der libanesischen Metropole Beirut 3000 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder von christlichen Falangisten ermordet. Die Aufgabe der Soldaten bestand darin, die Wehrlosen nicht fliehen zu lassen und ansonsten wegzuschauen. In einer gewagten Aussage des Psychologen von Ari, dem Ari im Film, wird ein häufig und heftig bekämpfter Bezug zum Holocaust gelegt: Die israelischen Soldaten würden einen blinden Fleck in ihrer Erinnerung haben, weil sie es nicht ertragen, dass ihr eigenes Verhalten dem der deutschen SS in Auschwitz zu ähnlich sei.

Der irre Drive des Films und der gezeigten Umstände entsteht durch die quer zu den Bildern laufenden, zeitgenössischen Popsongs, die ausgelassene westliche Lebensstimmung der frühen Achtziger und dazu die brutalen Kriegsbilder. Ein aberwitziger Mix, der die Absurdität des Krieges erschreckend deutlich macht.

„Waltz with Bashir“ basiert auf realen Interviews mit realen Kameraden des Regisseurs und kommt doch als Widersprüchlichkeit einer „animierten Dokumentation“ daher. Die Zeichnungen wirken auf den ersten Blick kantig und rau, fast holzschnittartig. Der Regisseur verzichtete nach eigener Aussage bewusst auf die digitale Rotoscope-Technik, mit der Richard Linklater bei „Waking Life“ (2001) and „A Scanner Darkly“ (2006) die real aufgenommenen Szenen „übermalte“. (Populärer, wenn auch ästhetisch uninteressanter geschah dies auch beim „Polar Express“ mit einem übermalten Tom Hanks.) Vielleicht gab es neben ästhetischen auch finanzielle Gründe. Doch trotz des ungewöhnlichen Stiles und der ästhetischen Merkwürdigkeiten erschüttert „Waltz with Bashir“ tief. Am stärksten allerdings, als am Ende die Animation für Realbilder der Opfer und ihrer klagenden Angehörigen Platz macht.

Man kann sich die Frage stellen, ob die israelisch-deutsche Koproduktion auch als klassischer Dokumentarfilm so viel Interesse hätte gewinnen können. Doch das „Verstecken“ hinter Farbe oder Maske scheint symptomatisch zu sein für dieses Stadium der Verarbeitung persönlicher und nationaler Traumata. In Venedig war kürzlich „Z32“ von Avi Mograbi zu sehen, eine verspielte, komplexe Dokumentation, in der ein Ex-Soldat gesteht und bewältigt, wie er bei einem Einsatz zwei palästinensische Polizisten ermordete. Die Gesichter des Soldaten und seiner Freundin wurden dabei zunehmend perfekter von einer täuschenden digitalen Maske verborgen. Eine wertvolle technische Entwicklung, wenn durch kunstvolles Verbergen, Verborgenes ans Kino- und Tageslicht kommt.

Günter H. Jekubzik

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Ein ganz und gar psychologisch gefärbter Animationsfilm über ein schlimmes Thema. Ein Israeli, der 20 Jahre zuvor im Libanon gekämpft hatte, wendet sich, weil bei ihm furchtbare und anhaltende Albträume aufgetaucht sind, an Freunde und ehemalige Mitkämpfer. Gemeinsam erinnern sie sich, analysieren die Geschehnisse – vielleicht gelingt es auf diese Weise, die Traumata zu besiegen. 

Libanon-Kriege fanden mehrere statt. Es gibt also viel aufzuarbeiten - bis zu dem wohl schlimmsten Ereignis von allen, dem Massaker von Sabra und Shatilla. 

Ein hervorragend „gezeichneter“, mit einigen Phantasie- und Realsequenzen durchsetzter Animationsfilm, der bisher bereits größeren Anklang gefunden hat. Er stellt die ständigen, nunmehr 60 Jahre andauernden schlimmen Auswirkungen des Nahost-Dilemmas ebenso aufrüttelnd dar wie die seelischen Schäden, die Tausende von Soldaten auf beiden Seiten bisher erlitten haben und vielleicht nie mehr los werden.

Ein sehr ernsthafter Film über einen Unglücks- und Kriegsherd, von dem man nur hoffen kann, dass er endlich einmal aus der Welt geschafft wird. 

Thomas Engel