Welcome

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Philipe Liorets neuer Film „Welcome“ hat sich in Frankreich zum Politikum entwickelt. Der Einwanderungsminister kanzelte das Drama über das Flüchtlingslager in Calais ab, die Sozialistische Partei unternahm einen Vorstoß gegen ein Gesetz, das Franzosen verbietet, Flüchtlingen zu helfen. Beim Thema illegale Migration schlagen die Wellen schnell hoch. Der Film ist jedoch trotz aller durchschimmernden Anteilnahme kein politisches Pamphlet. Lioret lotet nicht nur eine geografische Grenze aus, sondern zeigt ein Geflecht aus Trennungslinien, mit denen sich Menschen aus sozialen, politischen und privaten Gründen abschotten.

LABEL EUROPA CINEMAS

Webseite: www.arsenalfim.de/welcome

Frankreich2009
Regie: Philipe Lioret
Buch: Olivier Adam, Emmanuel Courcol, Philipe Lioret
Darsteller: Vincent Lindon, Firat Ayverdi, Derya Ayverdi, Audrey Dana
Länge: 115 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 4. Februar 2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

„Welcome“ ist für die Füße. Das Wort steht auf einer Fußmatte, die vor der Wohnungstür eines Mannes liegt, dem beileibe nicht jeder willkommen ist. Seinen Nachbarn Simon (Vincent Lindon) etwa schwärzt er an, weil der illegale Flüchtlinge versteckt. Man ist hier nicht unter Freunden. Das gilt nicht nur für die unerwünschten Migranten, die sich aus Afrika und dem Nahen Osten nach Calais durchgeschlagen haben, um von dort nach England zu gelangen. Das gilt für alle Menschen, die mit dem Flüchtlingsproblem in Berührung kommen. Lioret erzählt seine Geschichte innerhalb der Konventionen des Genres. Mit dem irakischen Jugendlichen Bilal (Firat Ayverdi) gibt es einen Helden, der eigentlich keine Chance hat. Es gibt Widersacher und Helfer, dramatische Wendungen und die Liebe kommt auch vor. Aber der französische Regisseur beschränkt sich nicht auf den Kampf des Helden gegen das unüberwindliche Hindernis Ärmelkanal, wie es Michael Winterbottom 2002 in „In this world“ tat. Und er lässt sich auch nicht auf die einfache Metapher ein, dass die Grenze Diaspora und gelobtes Land, Verzweiflung und Hoffnung scheidet. In „Welcome“ ist das Meer zwischen Frankreich und England nur eine Grenze unter vielen. Der Film zeichnet ein Schnittmuster, das die gestrichelten Linien zum Vorschein bringt, die in sozialen Beziehungen den Ausschluss markieren. Abgrenzung ist kein empörender Sonderfall, sondern eher Normalität im alltäglichen Mit- und Gegeneinander.

Verloren sind natürlich vor allem Bilal und seine Leidensgenossen, die in dem provisorischen Camp bei Calais hausen und ständig auf der Hut vor der Polizei sein müssen. Auch untereinander sind sie wenig solidarisch. Jeder sucht seinen Vorteil. Kaum weniger eingemauert ist Simon, der Schwimmlehrer, der Bilal Unterricht gibt und nach und nach ahnt, warum der Junge schwimmen lernen will. Die Frau, die er liebt, hat ihn verlassen, sein Job ödet ihn an, seine Lebensenergie verlässt ihn. Er hilft Bilal nicht aus Mitgefühl, sondern um seine Ex-Freundin wiederzugewinnen. Die wiederum reibt sich in der Solidaritätsarbeit auf, angefeindet von Kollegen, der stumpfen Bevölkerung, den Behörden. Bilals Freundin, die es mit ihrer Familie nach England geschafft hat, steht unter strenger Bewachung ihres Vaters, der sie aus familienpolitischen Gründen mit einem Cousin verheiraten will – die nächste Mauer. Es sind viele Einzelkämpfer unterwegs, die nicht zueinander finden und allein bleiben. Nur zwischen Bilal und Simon gibt es eine Annäherung, die aber nicht bestehen bleiben kann.

Lioret beherrscht das Gefühlskino, das auf leisen Sohlen daherkommt. In „Die Frau des Leuchtturmwärters“ und „Keine Sorge, mir geht’s gut“ hat er mit knappen, aber wirkungsvollen Strichen die Macht von Beziehungsgeflechten offen gelegt, und auch in „Welcome“ werden Schmerz und Sehnsucht in Blicke und kleine Gesten verpackt – bis auf den Schlussakkord, der vielleicht zu viel will. Sein Film erzählt von einem Kampf auf Leben und Tod in einem reichem Land, einem Land, das davon nichts wissen will. Ein Skandal, natürlich. Aber was hilft’s? Lioret bekam den Lux-Preis des EU-Parlaments. Sein Film wird mit dem Preisgeld in den 23 EU-Mitgliedsstaaten untertitelt. Das Lager bei Calais walzten die französischen Behörden im Herbst nieder.

Volker Mazassek

Bilal, der 17jährige Iraker, hat seine Liebe schon gefunden. Aber das Mädchen, das er begehrt, lebt mit seiner Familie in England. Unter Missachtung aller Hindernisse überwindet er, oft sogar zu Fuß, die Entfernung. Jetzt ist er in Nordfrankreich angekommen. Nur die Breite des Ärmelkanals trennt ihn noch von seiner Freundin.

Ein Fluchtversuch unter einer Lkw-Ladung scheitert. Die Spürhunde decken alles auf: die Verstecke, den Atem der verborgenen Menschen, die Drogen. Alles.

Zu Dutzenden treiben sich Emigranten am Hafen herum. Notdürftig werden sie mit Essen versorgt.

Bilal sieht nur noch eine Möglichkeit. Er wird schwimmen lernen und dann, leidlich ausgerüstet, im Wasser die Strecke durchqueren. Ein tödliches Unterfangen. Die Strömung und die Kälte lassen nur eine minimale Chance zu.

Sein Schwimmlehrer beginnt die übermächtige Sehnsucht des Jungen zu begreifen. Zögerlich lehrt er ihn schwimmen, rät ihm ab, nimmt behördliche Verfolgungen wegen strafbarer Unterstützung illegaler Immigranten auf sich, hält deswegen Auseinandersetzungen mit seiner Frau aus, nähert sich Bilal schließlich menschlich an, wird zu seinem Freund, rüstet ihn auch aus – will ihn aber doch auf jeden Fall von seiner gefährlichen Unternehmung abhalten.

Heimlich tritt Bilal seine mörderische Reise an. Das kann nicht gut gehen!

Die Stimmung des Films ist dem Thema angepasst. Es ist kaltes, regnerisches Wetter oder Nacht. Hier, in der tristen industriellen Umgebung eines Großhafens, spielt es sich ab: die Not der Flüchtlinge, ihre schon so oft gescheiterten Versuche, ihre ärmliche verlorene Existenz – dann Bilals Sehnsucht, sein bis zum Äußersten gehender Entschluss und die opferbereite Freundschaft des Schwimmlehrers.

Eines wird auch in diesem Film wieder deutlich: Am Thema der Migranten, der modernen „Völkerwanderung“ und der Notwendigkeit, dieses Problem zu lösen, kann niemand mehr vorbeigehen.

Vincent Lindons (Schwimmlehrer) und Firat Ayverdis (Bilal) Spiel geht zu Herzen.

Politisches Dilemma und persönliche Tragik in gut harmonierender Dramaturgie von Philippe Lioret zu einem sinnvollen und äußerst anrührenden Drama zusammengefügt.

Auf der letzten Leipziger Filmkunstmesse der AG Kino/Gilde erhielt dieser Film den Preis der Jugend-Jury.

Thomas Engel