Wenn der Herbst naht

Eine wunderbar unmoralische Story: Eingehüllt in sanfte, herbstliche Farben und mit steigender Spannung präsentiert François Ozon, inzwischen nicht nur als besonders fleißiger Regisseur, sondern auch als raffinierter Geschichtenerzähler bekannt, eine Komödie, die sich peu à peu zum intelligenten Kriminalfall steigert.

 

Über den Film

Originaltitel

Quand vient l’automne

Deutscher Titel

Wenn der Herbst naht

Produktionsland

FRA

Filmdauer

103 min

Produktionsjahr

2024

Regisseur

Ozon, François

Verleih

Weltkino Filmverleih GmbH

Starttermin

28.08.2025

 

Michelle (Hélène Vincent) ist eine liebenswerte, rüstige Kleinstadtrentnerin mit einem hübschen Häuschen, in dessen Garten sie Gemüse anbaut. Gleich um die Ecke wohnt, Marie Claude (Josiane Balasko), ihre beste Freundin. Die beiden alten Damen verstehen sich blendend, sie gehen gemeinsam spazieren und Pilze sammeln, und sie unterstützen sich, wo es geht. Michelle chauffiert die Freundin auch zum naheliegenden Gefängnis, wo Marie Claudes Sohn Vincent (Pierre Lottin) inhaftiert ist. Michelle ist gerade in Vorfreude auf die kommenden Herbstferien, denn dann wird ihr 12-jähriger Enkel Lucas (Garlan Erlos), den sie über alles liebt, für ein paar Tage zu ihr kommen. Als Michelles Tochter Valérie (Ludivine Sagnier) mit Lucas eintrifft, hat sie schon alles aufs Beste vorbereitet. Aber dann: ein schrecklicher Unfall – eine Pilzvergiftung, für die Michelle verantwortlich ist – Valérie ist stocksauer und reist mit Lucas ab, und ihr Entschluss steht fest: Ihre Mutter darf keinen Kontakt mehr mit Lucas haben. Die alte Dame ist untröstlich. Als bald darauf Vincent aus dem Gefängnis entlassen wird, ist Michelle kaum noch wiederzuerkennen. Sie wirkt um Jahre gealtert und fühlt sich in jeder Beziehung überfordert. Sie kommt nicht mehr alleine zurecht und bietet Vincent einen Job als Haus-und-Gartenhelfer an, den er gerne annimmt. Als Ex-Häftling hat er in der Provinzstadt, wo jeder jeden kennt, kaum die Möglichkeit, eine seriöse Arbeit zu finden. Schnell merkt Vincent, wie schlecht es Michelle geht und was der Grund dafür ist. Da er Michelles Tochter von früher kennt, beschließt Vincent, Valérie aufzusuchen: Er will mit ihr sprechen und zwischen Mutter und Tochter vermitteln. Doch dann passiert wieder etwas…

Mehr soll über die Handlung nicht verraten werden. Nur so viel: Es geht unter allerstrengster Nichtbeachtung irgendwelcher Klischees um Schuld, um Wahrheit, um Moral und Doppelmoral. Und am Rande auch um Freundschaft und Familie. Dabei ist der Titel ganz wunderbar zweideutig, was großartig zum gesamten Film passt: Denn er spielt nicht nur im meteorologischen Herbst, sondern auch im Herbst des Lebens von Michelle und Marie Claude. Die beiden haben viel erlebt, aber das enthüllt sich erst nach und nach, wobei es hier und da Andeutungen gibt. François Ozon verteilt dafür ab und an mal ein paar scheinbar belanglose Hinweise, die ein Gesamtbild ergeben, das zwar alles andere als nett und einfach ist, aber gerade dadurch realistisch wirkt. So realistisch wie das wahre Leben, das bekanntlich so gut wie nie so verläuft wie in einem Drehbuch. Dabei spielt Ozon absichtsvoll mit den Erwartungen des Publikums. Unkonventionell sind hier aber nicht nur die Handlungsfäden, die er gekonnt miteinander verwebt, sondern auch die Charaktere. Dafür hat Ozon eine sehr gute Besetzung gefunden.

Die Michelle spielt Hélène Vincent („Alles außer gewöhnlich“), eine der Grand Dames des französischen Films (und des Theaters), die in ihrer mehr als 60-jährigen Karriere mit vielen großen Regisseuren zusammengearbeitet hat. Inzwischen über 80 kann sie immer noch strahlen wie ein junges Mädchen – unschuldig und fröhlich, aber innerhalb von Sekunden kann sie sich auch verwandeln. Dann ist die eben noch flotte Oma plötzlich taperig und vielleicht sogar leicht verwirrt. Langsam, aber sicher enthüllt der Film, dass die alte Dame einige Geheimnisse bewahrt, die sie wohl besser auch niemandem weitererzählen sollte. Hélène Vincent spielt das genussvoll, sie kokettiert mit ihrem Alter und steigert die Doppelbödigkeit dieser kriminalistisch angehauchten Komödie, zu der sich der Film immer stärker entwickelt. Ihre perfekte Partnerin dabei ist Josiane Balasko („Grace a Dieu“, ebenfalls von François Ozon) als Marie Claude: eine Freundin zum Pferdestehlen, burschikos und mit trockenem Humor, aber ebenfalls sehr liebenswert. Pierre Lottin („Die leisen und die großen Töne“) zeichnet Vincent gleichzeitig rustikalen und sensiblen Burschen vom Lande, der die typischen Klischees vom Knastbruder nur scheinbar erfüllt und bald lässig konterkariert. Ludivine Sagnier („Napoleon“) ist als biestige Tochter von Michelle der absolute Gegensatz zu ihrer liebenswürdigen Mutter. Und das jüngste Familienmitglied Lucas (Garlan Erlos) erweist sich schließlich als würdiger Enkel seiner klugen Großmutter, vor allem, wenn es um das Bewahren von Geheimnissen geht. Und die gibt es reichlich in dieser überraschenden Krimikomödie mit Herz, Witz und Esprit.

 

Gaby Sikorski

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