Weserlust Hotel – Der verrückte Filmdreh „All inclusive“

Zum Vergrößern klicken

Vielleicht eines der schönsten Making-ofs, die je gedreht wurden – Eike Besuden bringt nun zum Spielfilm ALL INCLUSIVE, den er 2016 inszenierte, eine Dokumentation heraus. Sie erzählt kurzweilig von der Entstehung des inklusiven Filmprojekts, bei dem zum ersten Mal Menschen mit Behinderungen nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera standen und ein Team von erfahrenen Profis ergänzten. Dominique Horwitz, Doris Kunstmann und ein paar andere Bekannte aus der Film- und Theaterwelt sind ebenfalls mit dabei, und nicht nur sie stellen die Frage: Was ist eigentlich normal?

Webseite: weserlusthotel.de

Deutschland 2017
Buch und Regie: Eike Besuden
80 Minuten
Verleih: W-film
Kinostart: 27. September 2018

FILMKRITIK:

„Bei uns haben sie eigentlich alle irgendwie einen Stich“, sagt Hannelore Sporleder, die im Spielfilm ALL INCLUSIVE die Köchin Britta spielt und als Protagonistin mit durch das Making-of führt. Damit fasst sie die typische Atmosphäre am Filmset knapp und humorvoll zusammen. Eike Besuden, der erfahrene Filmemacher, der schon bei VERRÜCKT NACH PARIS im Jahr 2002 mit nicht behinderten Profidarstellern und behinderten Laien zusammenarbeitete und damit an der Kinokasse einen beachtlichen Erfolg erzielen konnte, hat mit ALL INCLUSIVE eins draufgesetzt. Hier sind Menschen mit körperlichen und psychischen Einschränkungen nicht nur als Darsteller, sondern auch hinter der Kamera und in der Postproduktion tätig. Im Making-of erzählt Eike Besuden von der Produktion des Spielfilms nicht durchgängig chronologisch, sondern auch mal längs und quer, vorwärts und rückwärts. Dadurch entwickelt sich eine ganz eigene Dynamik. Im Vordergrund stehen dabei der Regisseur und die Hauptdarsteller, aber neben den Schauspielern auch das Team vor und hinter den Kulissen.
 
Die Handlung des Spielfilms wird nebenbei erzählt: Eine Hotelbesitzerin stirbt plötzlich, ihr Sohn Ricky erbt das Hotel. Weil er behindert ist, zweifeln er selbst und seine Umgebung daran, ob er das Hotel leiten kann. Zusätzlich wollen ein paar Geschäftemacher Ricky über den Tisch ziehen. Glücklicherweise kann sich Ricky auf seine Freunde verlassen.
 
Den Ricky spielt Kevin Alamsyah, der bereits als Chorsänger Bühnenerfahrung sammeln konnte. Er ist ebenfalls einer der Protagonisten, die im Making-of ausführlicher vorgestellt werden, auch in ihrem Alltagsleben. Das ist etwas Besonderes, wie ja auch viele Mitwirkende ganz besonders sind. Mit der Zeit entwickelt sich aus der intensiven Begegnung mit den Beteiligten Sympathie, schon allein daraus, dass man sie näher kennenlernt. Das ist sehr schön zu beobachten, denn es geht hier nicht um Mitleid mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen, sondern um Menschen. Manche, wie Hannelore Sporleder, haben jahrzehntelange Irrwege durch Kliniken mit traumatischen Behandlungen hinter sich und leben heute selbständig, andere brauchen eine kontinuierliche Betreuung oder gelegentliche Unterstützung. Jeder ist anders, und Schubladendenken ist hier nicht gefragt.
 
Bei jeder Filmproduktion gibt es Diven und Möchtegerns, knallharte Profis und naive Anfänger. Das hat etwas mit Gruppenverhalten zu tun, mit Hierarchien und natürlich mit künstlerischem Selbstverständnis. Hier ist alles genauso, die Rollenverteilung ist ähnlich, aber trotzdem ist es anders, vielleicht freundlicher. Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten zusammen an einem Projekt; viele haben darin schon Erfahrung. Die Neuen erkennt man anfangs daran, dass sie sehr vorsichtig sind – beinahe ängstlich darauf bedacht, bloß nichts Falsches zu sagen. Da verhaspelt sich beinahe mal eine Doris Kunstmann, wenn sie über die neuen Kolleginnen und Kollegen spricht. Das gesamte Team bleibt diszipliniert, die einzigen Kapriolen schlägt das Wetter. Hin und wieder gibt es mal Schwierigkeiten, doch für alles findet sich eine Lösung, ohne Süßholzgeraspel oder Schönrederei – vielleicht ist es hier nicht nur netter als sonst beim Film, vielleicht geht es hier auch ehrlicher zu?
 
Der große Menschendarsteller Dominique Horwitz spricht zwischendurch über die Arbeit mit den behinderten Kolleginnen und Kollegen. Er war auch schon 2002 dabei. Sinngemäß meint er nebenbei, er könne die Blindheit, Dummheit und Hartherzigkeit von anderen Menschen nicht verstehen, die das Problem der Behinderung von sich schieben. Denn eigentlich müssten sie wissen, dass es sie jederzeit selbst treffen kann. Schon morgen könne jeder im Rollstuhl sitzen … Das sind kluge Worte, und Dominique Horwitz weiß sicherlich, dass es für die Blindheit, Arroganz und Ignoranz vor allem zwei Ursachen gibt: Angst und Dummheit, oder freundlicher ausgedrückt: Unsicherheit und Unwissen. Das einzige, was dagegen hilft, ist Information, und das leistet dieser schöne, kleine Film in vorbildlicher Weise. Er zeigt auch die Fortschritte im Kampf für die Inklusion. Denn was behinderte Menschen betrifft, so hat sich in den letzten 25 Jahren einiges zum Besseren geändert. Sie haben mehr Möglichkeiten, am öffentlichen Leben teilzunehmen, verstecken sich weniger und werden weniger versteckt. Dazu hat Eike Besuden einiges zu sagen und stellt zwei Institutionen vor, ohne die weder der Spielfilm noch das Making-of möglich gewesen wären: die „Blaue Karawane“, ursprünglich ein psychosoziales Projekt, und das „Blaumeier Atelier“ mit dem Konzept eines inklusiven Kunst- und Kulturansatzes.
 
Interessant und informativ ist der Film also, doch sein eigentlicher Charme liegt in der Begegnung mit ein paar wirklich großartigen Menschen. Das gilt für sämtliche Beteiligten, ganz egal, ob sie Beeinträchtigungen haben oder nicht. Ihr Humor, ihr Engagement und ihre uneitle Lebensfreude sind eine echte Bereicherung.
 
Gaby Sikorski