Eva Neymann unternimmt in „When Lightning Flashes over the Sea“ eine dokumentarische Reise durch das von Krieg und Zerstörung gezeichnete Odessa. Sie fängt die Lebenswelten der Menschen sowie deren Ängste und Hoffnungen ein und lässt ausgewählte Bewohner zu Wort kommen. Dabei entsteht eine genau beobachtete, angenehm zurückhaltende und visuell vielseitige Mixtur aus Stadt- und Personenporträt in Ausnahmezeiten.
Über den Film
Originaltitel
When Lightning Flashes Over the Sea
Deutscher Titel
When Lightning Flashes Over the Sea
Produktionsland
DEU,UKR
Filmdauer
124 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Neymann, Eva
Verleih
déjà-vu film
Starttermin
20.11.2025
Die deutsch-ukrainische Regisseurin Eva Neymann zeichnet mit „When Lightning Flashes Over the Sea“ den Alltag im kriegszerstörten Odessa nach. Die am Schwarzen Meer gelegene Metropole zählt kulturell und architektonisch zu den wichtigsten und schönsten Städten der Ukraine, vermutlich sogar in ganz Osteuropa. Im brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine erfuhr die Hafenstadt mediale Dauerpräsenz – und ist ein Beleg dafür, dass Putin mit der Zerstörung zentraler Kulturgüter und Welterbestätten die ukrainische Identität auslöschen will. Neymann zeigt Menschen inmitten dieser traumatischen Zeit in ihren Wohnungen, auf den Straßen und am Meer. Sie erzählen von ihrer Trauer und Verzweiflung, aber auch von Hoffnung und Augenblicken flüchtiger Glücksmomente.
Neymann, die bislang alle ihre Filme, egal ob Dokumentar- oder Spielfilm, in Odessa gedreht hat, wählt eine sehr intime Art der Umsetzung und Erzählung. Sie und ihr Kameramann Saša Orešković lassen allein die Bilder für sich sprechen. Die Stimmungen, Eindrücke und Informationsvermittlung ergeben sich folglich rein aus der – stillen – Beobachtung heraus. Dieser zurückhaltende, von Einfühlsamkeit geprägte Ansatz kommt ohne Kommentare aus dem Off oder Texteinblendungen aus.
Das Besondere an „When Lightning Flashes Over the Sea“ ist der gelungene Mix aus Personen- und Stadtporträt. Einerseits sind da immer wieder dieselben Personen, denen wir im Laufe der über zwei Stunden Laufzeit begegnen und näherkommen. Da ist eine namenlose Frau, verwitwet, die sich um die vielen Katzen, die das Straßenbild Odessas prägen, kümmert. Oder der zehnjährige Junge, der allein die Gassen der Stadt durchstreift und sich bisweilen in Tagträumen von einer besseren Zukunft verliert. Und dann gibt es da noch eine weitere Bewohnerin, die Neymann und Orešković mit statischer Kamera etwa zehn Minuten am Stück beim Kochen und Hantieren in ihrer Küche beobachten. Zwischendurch telefoniert sie, dann schneidet sie Gemüse und immer wieder berichtet sie beiläufig von den erlittenen Traumata – und der großen Angst, ihren im Krieg kämpfenden Sohn zu verlieren.
Und auf der anderen Seite porträtiert Neymann eine durch die Drohnen- und Raketenangriffe „versehrte Stadt“, deren historisches Zentrum, darunter die weltbekannte Verklärungskathedrale, stark zerstört ist. Aber der Film zeigt gleichsam intakte, mal bekannte, mal weniger bekannte Gebäude, Orte und Sehenswürdigkeiten, bisweilen nur kurz im Bild oder als Hintergrundkulisse, wenn die Kamera mal wieder einem der Bewohner durch die Stadt folgt.
Erwähnenswert ist die wohl überlegte, ausgewogene Ästhetik des Films: Orešković baut ganz auf die visuelle Kraft seiner Bilder. Das fein austarierte Spiel aus Licht und Schatten etwa und die vielen Perspektivwechsel erzeugen Abwechslung sowie Atmosphäre. Und so verbleibt am Ende ein stimmungsvolles, hochgradig sensibel umgesetztes Kaleidoskop aus Alltagbeobachtungen, ausführlichen Schilderungen und Momentaufnahmen. Ein Film, der das Zusammenleben der unterschiedlichen Bewohner dokumentiert, aber auch das Zusammenleben von Mensch und Tier (in Odessa leben über 70.000 Straßenhunde und tausende Straßenkatzen) eindrucksvoll einfängt.
Björn Schneider