Wholetrain

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Eine bisweilen fast dokumentarisch anmutende Sozialstudie liefert Florian Gaag mit seinem Langfilmdebüt ab. Angelehnt an eigene Erfahrungen taucht er tief in die Graffiti-Szene einer fiktiven deutschen Großstadt ein. Dass er das Leben und Tun seiner jugendlichen Protagonisten dabei vollkommen vorurteilslos und ohne jegliche moralische Bewertung beobachtet, ist gleichzeitig größte Stärke und Schwäche des Films.

Webseite: www.wholetrain.com

Regie: Florian Gaag
Buch: Florian Gaag
Kamera: Christian Rein
Schnitt: Kai Schröter
Musik: Florian Gaag
Darsteller: Mike Adler, Florian Renner, Elyas M’Barak, Jacob Matschenz, Vincenzo Rosso, Kristina Karst
D 2005, 83 Minuten; Format 1: 1,85
Kinostart: 5. Oktober 2006
Verleih: Movienet Film

PRESSESTIMMEN:

 

Bomben, batteln und sprayen - und die Stadt zur Leinwand machen: Florian Gaags exzellentes Kinodebüt präsentiert eine Graffiti-Crew als moderne Helden zwischen Alltagstress und künstlerischer Passion.
SPIEGEL Online

Ein schöner, rauer Film mit spürbarer Nähe zum Underground. - Sehenswert!
tip berlin

Furioser Debütfilm, der die Ästhetik der „Graffiti Art“ kongenial adaptiert und perfekt umzusetzen versteht. Rasant erzählt, emotional packend und nah an den Figuren, mangelt es der authentischen Innensicht der Sprayer-Szenen allerdings an Distanz zu ihrem Gegenstand.
film-dienst

Überhaupt gehört WHOLETRAIN zu den Perspektive-Beiträgen, die Pathos und Emotionen nicht mit Understatement herunterspielem. Vielleicht weil Gaag selbst Sprüher war, hält er sich nicht lange mit Einführungen auf, sondern erzählt direkt drauf los. Dazu wummern die Basse seiner selbst geschriebenen Raps. Die Sprüher würden sagen:''n totaler Burner, Alter!" In der Sprache der Filmkritik: ein Höhepunkt des Programms.
Tagesspiegel

Mit viel Herz taucht der Erstlingsfilm von Quereinsteiger Florian Gaag mit seinen Figuren gemeinsam in die Nacht, die ihnen ihr Leben bedeutet -...
Frankfurter Rundschau

Authentisch, rasant, ruppig (...) WHOLETRAIN ist der überzeugendste Streifen der Sektion.
3 Sat Kulturzeit

 

FILMKRITIK:

David (Mike Adler) ist mal wieder beim Sprayen erwischt worden. Zusammen mit seinen Freunden Tino (Florian Renner) und Elyas (Elyas M’Baker) und seinem „Schüler“ Achim (Jacob Matschenz), zieht er durch die Stadt, bevorzugt nachts, und lässt möglichst kunstvolle Graffitis zurück. Seine Crew, genannt KSB, befindet sich in einer Art Wettstreit mit der ATL-Crew, der sich in dem Versuch äußert, U-Bahn-Wagen möglichst aufwändig zu bemalen. Doch das ist nur der erste Teil. Mindestens so wichtig ist es am nächsten Morgen auf dem Bahnsteig zu stehen und den frisch bearbeiteten Zug zu fotografieren, bevor er gereinigt werden kann. Gedreht wurden diese Szenen in Warschau, eine deutsche Stadt wollte sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht für die Dreharbeiten zur Verfügung stellen. Denn Gaag geht es nicht um moralische Wertungen. Er zeigt eine noch nicht einmal besonders verrohte Welt, in der die Jugendlichen zwar wenig mehr tun als in den Tag hinein leben, Gras rauchen und Entwürfe für Graffitis zu zeichnen, die aber auch von großer Wärme und Freundschaft geprägt ist. Auf Erklärungen oder Motivation verzichtet der Film nahezu komplett, einzig die Figur Tinos wird ausführlich in ihrem sozialen Umfeld gezeigt, inklusive allein erziehender Mutter.

Zwar scheint es für lange Zeit so, als würde David im Laufe des Films einen Wandel durchleben, als würde er nach einigen Scharmützeln mit der Polizei einsehen, dass das semikriminelle Leben eines Sprayers keine Zukunft hat, doch diesen einfachen Weg geht der Film nicht. Dass ist einerseits angenehm, werden so doch Debatten über für und wieder Graffiti vermieden, die in einem Spielfilm kaum geführt werden können. Anderseits entsteht so das Bild einer Subkultur, die sich gegen arrogante und unverhältnismäßig vorgehende Obrigkeiten zur Wehr setzen muss, obwohl sie die Stadt mit künstlerischen Arbeiten bedeckt. Dass in der Realität ein Großteil dessen, was unter den Oberbegriff Graffiti fällt alles andere als künstlerisch wertvoll ist, im Gegenteil sogar eher als Schmierereien bezeichnet werden muss, verschweigt der Film. Dass er es mit authentisch wirkenden Darstellern und Dialogen schafft, eine interessante Szene zu beschreiben, heißt in diesem Fall eben auch, dass er von einem unreflektierten Publikum als Werbefilm für eine strafbare Tätigkeit aufgefasst werden kann. Zusätzlich verstärkt wird dieser vermutlich gar nicht intendierte Effekt durch die häufige Betonung eines „Sprayer-Ethos“, der mit seinen strengen Regeln und Credos sicherlich nicht zufällig an ähnliche Codes aus wirklich kriminellen Bereichen wie man sie aus Gangsterfilmen kennt erinnert. Ein durchaus interessanter Anspruch dieses Codes, dessen Bruch im Film als Ehrverletzung dargestellt wird und zu etlichen Schlägereien führt, ist etwa die Betonung von so etwas wie persönlichem Besitz. Der besteht hier darin, dass ein Graffiti nicht von einem anderen Sprayer mit wüsten Strichen zerstört oder, um im Slang der Szene zu bleiben, gecrosst werden darf. Im Gegensatz dazu sind die Sprayer, wenn es um öffentlichen Raum für ihre eigenen Arbeiten geht, ja bekanntermaßen weniger um etwaige Eigentumsverhältnisse besorgt. Ob dem Regisseur oder Mitgliedern der Sprayer-Szene die Ironie dieses Widerspruchs allerdings bewusst ist scheint fraglich.

Michael Meyns

 

 

Dass Graffiti nur bedingt als künstlerische Ausdrucksform hierzulande akzeptiert wird, zeigt folgende kleine Anekdote. Auf der Suche nach geeigneten Drehorten, musste Regisseur Florian Gaag schnell feststellen, dass er auf deutschen Bahngleisen keine Dreherlaubnis bekommen würde: „Die Bundesbahn wollte auf keinen Fall mit uns kooperieren. Aus Angst, der Film könne mögliche Nachahmer animieren, drohten die Verantwortlichen gar damit, sämtliche europäischen Verkehrsbetriebe über unser Vorhaben zu informieren und den Film so zu blockieren.“ Bei der polnischen Bahn fand man hingegen schnell Freunde, so dass „Wholetrain“ zur Hälfte in den Bahnhöfen Warschaus gedreht wurde, weitere Szenen entstanden in München.

Gaags fulminantes Regiedebüt erzählt mit den Mitteln eines abendfüllenden Spielfilm-Dramas von vier Graffti-Writern der KSB-Crew („Keep Steel Burning“). David (Mike Adler) und Elyas (Elyas M’Barek) sind in der Szene etabliert, der junge Achim (Jacob Matschenz) zeigt sich als aufstrebendes Nachwuchstalent, Tino (Florian Renner) ist der große Motivator, kämpft aber ständig mit seinem Verständnis von Verantwortungsbewusstsein. Alle vier sind von schwerer sozialer Inkompetenz geschlagen, einzig ihr Talent fürs Graffitisprühen scheint ihnen Lebensantrieb zu geben. Tagsüber klauen sie Farben im Baumarkt, nachts schleichen sie vermummt auf Bahngleise und „bomben“ Züge, wie man im Jargon zu sagen pflegt, wenn einem Zug ein neuer Anstrich verpasst wird.

Florian Gaags Figuren sind keine verklärten Helden, sondern zweifelnde und reflektierende Persönlichkeiten. Ihre Kunst ist illegal, ein normales Leben kommt für sie nicht in Frage, denn das ist langweiliger als alles andere. Das Angebot vom Jugendbeauftragten auf eine Kunstschule zu gehen, kommt für David ungelegen, dennoch überdenkt er seine nächtlichen Streifzüge beinahe täglich.

„Wholetrain“ ist hart geschnitten, voller Tempo und zarter Gewalt. Als die Bilder der KSB-Crew von verfeindeten Sprayern „gecrossed“ und damit übergemalt werden, entsteht ein Konkurrenzkampf, der seine Opfer finden wird. Der Film vermeidet dabei Form über Inhalt zu stellen, so dass cooler Soundtrack (KRS-One, Afu Ra, etc.) und beeindruckende Pieces (Graffitibilder) nicht besser sind als das Drehbuch. Kaum zu übersehen sind die Einflüsse von Fatih Akins „Kurz und schmerzlos“ und Martin Scorseses „Mean Streets“, die ebenso von Freundschaften, Betrug und Gewalt in heftigen Milieus erzählt haben. Für Fans der Graffiti-Szene dürfte „Wholetrain“ der Film sein, auf den sie ihr Leben gewartet haben.

David Siems