World Trade Center

Zum Vergrößern klicken

Das mit Spannung erwartete Filmdrama über die Terroranschläge vom 11. September 2001 löste nicht nur bei seiner New Yorker Premiere hitzige Kontroversen aus. Besonders Hinterbliebene kritisieren den US-Film und den dreifachen Oscar-Preisträger Oliver Stone auf das Schärfste. Man sei „eher an dem Profit als an der Verarbeitung der Tragödie“ interessiert gewesen, warf beispielsweise Carie Lemack, Gründerin der Organisation „Families of September 11“ dem sonst so politisierten Filmemacher und seinem Studio Paramount vor, obwohl 10 Prozent der Einnahmen Wohltätigkeitsprojekten zukommen sollen. Tatsächlich ist dieses gigantische, kammerspielartige Trauerspiel nach dem semi-dokumentaristischen, hoch gelobten „Flug 93“ des Briten Paul Greengrass („Die Bourne Verschwörung“) das zweite, sich überhaupt mit den grausigen Anschlägen befassende Zelluloid-Epos.

Webseite: www.worldtradecenter-film.de

USA 2006
Regie: Oliver Stone
Darsteller: Nicolas Cage, Michael Pena, Jay Hernandez, Maria Bello, Maggie Gyllenhaal
Länge: 128 Min.
Verleih: UIP
Kinostart. 28.09.2006

PRESSESTIMMEN:

Stone zeigt heldenhafte Männer bei der Arbeit.
Berliner Zeitung

Gott schütze Oliver Stone
National Revue

…mit großer Suggestion lässt Stone den Horror real werden…
Der Spiegel

 

FILMKRITIK:

Etwas weniger wäre wirklich viel mehr gewesen: „Ein Film gegen das Vergessen, er kann Schmerzen verursachen, es mag auch hart sein, ihn anzusehen, man kann weinen, aber ich glaube, dass man sauber und geheilt aus dem Kino geht“, verteidigt der sonst so filmische Scharfrichter und Zelluloid-Henker der Nation, Oliver Stone seinen bislang wohl unpolitischsten, dafür emotionalsten Film. Aber wie soll eine „Good-Bless-America-Nation“, getroffen durch Vietnam, halbwegs genesen am Golfkrieg und wiederum schwer verletzt durch den Irak, halbwegs gesunden?

Religion, Patrioten und Heroen braucht jetzt das Land. Und da bohrt Vietnam-Veteran Stone nach dem Absturz-Fiasko von „Alexander“, einstens Vergangenheits-Bewältiger („Platoon“), Imperialismus-Abrechner („Salvador“), Verschwörungs-Theoretiker („JFK“) und Medien-Terminator („Natural Born Killers“), in den richtigen Zahn der Zeit, um jene an Amerika nagenden kariösen Elemente wie Irak, Flutkatastrophen, Wirtschaftsflauten oder Führungsmisstrauen überhaupt ein wenig zu betäuben.

Doch vor der in punkto Filmtechnik perfekt inszenierten Trauerarbeit ging der wohl horribelste Massengau in der US-Katastrophen-Historie der letzten Dekade voraus: Am frühen Vormittag (Ortszeit) des 11. September 2001 verübte eine Gruppe islamistischer Selbstmordattentäter, die das Terrornetzwerk Al-Qaida dazu ausgebildet und beauftragt hatte, die bislang schwersten und folgenreichsten Terroranschläge in der Geschichte der USA. Sie entführten zwischen 8:10 Uhr und etwa 9:30 Uhr vier Passagierjets auf Binnenlandflügen, lenkten zwei davon in die Türme des World Trade Centers (WTC) in New York City und einen in das Pentagon in Arlington, Virginia. Ein weiteres Flugzeug, bekannt geworden als United 93, aller Vermutung nach mit desaströser Destination zum Capitol, Camp David, oder Weißes David unterwegs, wurde durch das beherzte und todesmutige, in Tonband-Protokollen festgehaltene Eingreifen der Passagiere gegen ihre Entführer in der Nähe von Pittsburgh, Pennsylvania zum Absturz gebracht.

Bei diesen so genannten Renegade-Fällen (Überläufertum) starben rund 3.000 Menschen: 266 Passagiere in den Flugzeugen, ca. 2.600 im WTC und 125 Personen im Pentagon. „Heute sind wir alle Amerikaner“, wusste der damalige Verteidigungsminister Peter Struck am darauf folgenden Tag intelligent zu philosophieren. Amerikaner aus vollster und aufrichtiger Überzeugung waren die wohl tatkräftigeren 341 Rettungskräfte, von Polizei, Feuerwehr und Katastrophenschutz, die bei den immensen Rettungsaktionen ihr Leben ließen. So urplötzlich und unerwartet, wie der Anschlag selbst…

Auf genau diesen schwerpunktgewichteten Schwachpunkt Mensch, mit den Beilagen, Einsatz, Mut, Schwäche, vor allem aber klaustrophobische Angst, fokussiert Oliver Stone seine präzise Film-Geodäsie der Fehler, Irrtümer, Unwegsamkeiten  und Unberechenbarkeiten, um eine unheilbar gesunde, zutiefst bewegende Heldengeschichte daraus zu konstruieren: An einem Tag wie jeder andere, am 11. September 2001, aber auch an einem Tag, der die Welt nachhaltig verändern sollte: Die beiden Polizisten Sergeant John McLoughlin (Nicolas Cage) und sein Partner Will Jimeno (Michael Pena) vom Port Authority Police Department werden mit ihrem Trüppchen in den ersten WTC-Turm geschickt, um die Lage zu sondieren. Die oberen Etagen stehen in Flammen, ein Flugzeug soll dort eingeschlagen sein. Vor Ort herrscht heilloses Chaos, und die U-Bahn-Ebene muss sofort evakuiert werden. Eine gewaltige Druckwelle kündigt den Einsturz eines Twin Towers an. Noch bevor die Cops überhaupt in Aktion treten können, kollabiert das Gebäude, um die Retter unter meterdickem Stahl, Glas und Beton in Bewegungslosigkeit zu begraben. Nur John und Will überleben eingeklemmt im hoffnungslosen Dunkel, gelegentlich erhellt wie bedroht von durchrasenden Flammenwölkchen und ekstatisch verrückt spielenden Stromleitungs-Blitzen. Und irgendwo da oben ein kleine helle Öffnung namens Leben. Während die beiden zwischen Angst, Mut, Hoffnung und Selbstbetrug einander aufrichten, läuft eine beispiellose Rettungsaktion an. Und ein Staff Sergeant Dave Karnes (Michael Shannon) - der in der Realität wahrhaft existierte, genau wie die „Nummern“ 18 und 19 von rund 30 lebend Geborgenen, nimmt unbeirrbar an der verzweifelten Suche teil.

Wohl eher eine Suche nach Selbstfindung einzelner oder einer gesamten Nation mag diese 63-Millionen-Dollar-Produktion darstellen, am Ende bis hin zur inbrünstiger Religiosität degeneriert: Es gibt keinen Bibel-Film, der die Auferstehung (der beiden Polizisten), am Dreh selbst zugegen, so exzessiv mystifiziert wie Oliver Stone. Nicolas Cage „fährt“ (in Form der subjektiven Kamera) durch ein rechteckig ausgeschnittenes, grabähnlich ausgehobenes Trümmer-Loch ins Lebenslicht, wobei ihn sein Glaube, seine Liebe zur Frau Donna (Maggie Gyllenhaal) -verständlicherweise - gerettet hat.

Gerettet wird Stone wahrscheinlich selbst vor allem durch sein perfekt puristisches handwerkliches Geschick und Kunst, grausame Realität filmisch - unterlegt mit einem genialen Soundtrack - noch realistischer in einen Manierismus zu steigern, der ankommt. Wieso aber ein weltbewegendes reales Trauerspiel in den Bereich extremen Heroentums getrieben wird, bleibt offen: Etwas mehr Sachlichkeit angesichts einer im wahrsten Sinne des Wortes katastrophalen Niederlage wäre weniger glaubunwürdiger Realitätsverlust gewesen, zumal paralysierte Hilflosigkeit, bleierne Desorganisation und verlustreiches Chaos eben diesen 11. September lange danach und bis jetzt begleiteten und aller Voraussicht nach noch begleiten werden.

Jean Lüdeke