Wildherz

Zum Vergrößern klicken

In „Magie der Wildpferde“ war sie noch eine von vielen, nun steht sie dort, wo sie sich auch selbst verortet: Im Mittelpunkt. Das „Wildherz“ gehört Simone Hage, eine 20jährige aus Bayern, die nach sich selbst sucht und dabei von Regisseurin Caro Lobig begleitet wird. Das Ergebnis ist das Porträt einer Generation junger Menschen, deren Denken nur in eine Richtung geht.

Website: wildherz-derfilm.de

Deutschland 2020
Dokumentation
Regie: Caro Lobig
Länge: 90 Minuten
Verleih: Catamaranfilms/ barnsteiner-film
Kinostart: 29. Oktober 2020

FILMKRITIK:

Einigen Erfolg hatte im letzten Jahr die Pferde-Dokumentation „Magie der Wildpferde“, in der Caro Lobig Menschen zeigte, deren Liebe jener Art von Pferde gilt, die frei und unbändig über Weiden galoppieren. Eine der auffälligsten Figuren jenes Films war die damals gut 18jährige Simone Hage, die sich mit einer Freundin auf einer Tour durch Europa befand, mit dem erklärten Ziel, ihren Freiheitsdrang auszuleben.

Am Ende der Reise war sie in Dänemark angekommen, doch am Ziel war sie noch nicht. Die Schule hatte Hage schon Jahre vorher geschmissen, sehr zum Leidwesen der Eltern, denn was stattdessen kommen sollte, das wusste sie nicht. Bei ihrer fortgesetzten Sinnsuche wurde Hage weiterhin von Caro Lobig begleitet, sei es auf einem Bauernhof in Dänemark, wo sie einige Monate als Praktikantin arbeitet, zurück in der bayerischen Heimat, vor allem aber bei Besuchen von diversen selbsternannten Schamanen, Heilern und sonstigen Lebensgurus.

Mal in einen indianischen Tipi, mal in einem schnöden deutschen Wohnzimmer, mal via Internet lässt sich Simone Hage beraten und wird vor allem in ihrem Glauben bestätigt, ein ganz besonderer Mensch zu sein, der besonders sensibel ist und deswegen dazu bestimmt ist, zur Verbesserung der Menschheit beizutragen. „Kristallkinder“ nennt die Esoterik solche Wesen, Kinder, die nach dem Millennium geboren wurden und auf einschlägigen Seiten folgendermaßen beschrieben werden: „Kristallkinder haben die Wahrheit vollständig in ihre Herzen integriert.“ Inzwischen gibt es offenbar sogar „Diamantkinder“, deren Fähigkeiten noch spektakulärer sind.

Fraglos ein spannendes Thema, eine besondere Welt, mit der eine journalistische Auseinandersetzung lohnen würde. Ursprünglich arbeitete Caro Lobig auch im investigativen Journalismus, deckte unter anderem für die TV-Sendung „Team Wallraff“ heiße Themen auf. Von diesem kritischen Anspruch hat sie sich mit ihren Dokumentarfilmen jedoch verabschiedet und zeigt die Welt von Simone Hage und der sie umgebenden New Spirit-Bewegung rein affirmativ.

Das wird besonders zum Ende ihres Films problematisch, wenn die Dreharbeiten durch die Corona-Pandemie unterbrochen werden und Hage, wie so viele andere mit dem Esoterik-Bereich verbundene, den „Anfang eines neuen Zeitalters“ heraufkommen sehen. In diesen Momenten ähnelt Hage mit ihren blonden Rastahaaren und ihrer Weltverbesserungsrhetorik stark jener Heilpraktikerin, die mit flammenden Worten zum Sturm auf den Reichstag aufrief.

Der Übergang von individueller Sinnsuche und dem Irrglauben, besser als die meisten anderen Menschen zu verstehen, wie unsere Welt sein sollte, ist nicht immer leicht zu trennen. Gerade angesichts der Umstände der Corona-Demos in Berlin und anderen Städten, hätte „Wildherz“ ein etwas kritischerer Umgang mit seinem Sujet gut angestanden.

Michael Meyns