Wind zieht seinen Weg, Der

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In Italien hat sich Giorgio Dirittis Film „Der Wind zieht seinen Weg“ längst zu einem Phänomen entwickelt. Mit nur wenigen Kopien gestartet, hielt sich der dokumentarisch anmutende Spielfilm monate-, teils jahrelang in den Kinos. Dieser langanhaltende Erfolg spricht für sich, die Geschichte um die gescheiterte Integration in einem abgelegenen Bergdorf wirkt archaisch und doch immer authentisch. Ein bemerkenswerter Film.

Webseite: kairosfilm.de

OT: Il vento fa il suo giro
Italien 2006
Regie: Giorgio Diritti
Buch: Fredo Valla, Giorgio Diritti
Darsteller: Thierry Toscan, Alessandra Agosti, Dario Anghilante, Giovanni Foresti, Caterina Damiano
Länge:  110 Minuten, Format: 1:1,85
Verleih: Kairos
Kinostart: 14.5.2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Geht man ohne Vorwissen in „Der Wind zieht seinen Weg“, fragt man sich nach den ersten Minuten, ob man gerade eine Dokumentation sieht oder nicht doch einen Spielfilm. Bald setzt sich zwar trotz digitaler Bildästhetik die Erkenntnis durch, einer Fiktion zuzusehen, immer wieder aber gibt es Momente, die zu authentisch wirken, um inszeniert zu sein. Diese Irritation ist weder Zufall noch überraschend. Giorgio Diritti kommt von der Dokumentation und hat hier seinen ersten Spielfilm gedreht. Doch der dokumentarische Blick, das Gespür für kleine, wahrhaftige Momente hat er sich bewahrt. Mit seinem semidokumentarisch anmutenden Ansatz ist er auf der Höhe der Zeit. Filme wie „Die Klasse“, „Waltz with Bashir“ oder „Gomorrha“ haben in jüngster Zeit auf unterschiedliche Weise, die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion aufgelöst. Sie bilden kein einheitliches neues Genre, aber sind Teil einer interessanten Tendenz des aktuellen Kinos.

Auch „Der Wind zieht seinen Weg“ wählt einen eigenen Ansatz. Er erzählt eine Geschichte, wie sie so oder so ähnlich fraglos oft passiert, die in ihren Details aber kaum von einem Dokumentarfilmteam eingefangen werden könnte. Eine Art fiktive Dokumentation bekommt man also zu sehen, die fast immer authentisch, nur in manchen Momenten forciert wirkt. Es beginnt mit der Ankunft eines Fremden. Der etwas grobschlächtig wirkende Franzose Philippe (Thierry Toscan) kommt in das kleine Dorf Chersogno, gelegen in den italienischen Alpen, unweit der französischen Grenze. Hier spricht man noch Okzitanisch, einen traditionellen Dialekt, und auch sonst ist die Moderne noch nicht wirklich angekommen. Stattdessen stirbt das Dorf langsam aus, die Jugendlichen verlassen ihre Heimat und suchen im nahe gelegenen Turin ein vorgeblich besseres, vor allem bequemeres Leben. Da kommt Philippe gerade recht. Er sucht für sich und seine Familie eine neue Heimat, in der er seine Ziegen weiden lassen und mit ihrer Milch schmackhaften Käse produzieren will. 

Kontrovers diskutiert die Dorfversammlung sein Anliegen, schließlich entscheidet man sich aber, den Fremden aufzunehmen. Zunächst scheint alles gut zu gehen, Philippe und seine Familie werden freundlich begrüßt. Bald aber legen sich Schatten über die Aufbruchstimmung, man beklagt den Dreck und den Gestank der Ziegen und mäkelt aus echten und eingebildeten Gründen herum. Vor allem aber will man sich nicht von einem Fremden zeigen lassen, dass die Lebensform, die man selbst längst aufgegeben hat, auch Vorzüge hatte.

Aus diesem Konflikt entwickelt sich die Spannung des Films, die zum scheinbar unausweichlichen Scheitern des Experimentes führt. Leicht hätte dieses Gegenüberstellen von Lebensformen in unangenehme Nostalgie abdriften können. Doch Diritti schafft es, unideologisch zu bleiben, das karge Leben in einem abgelegenen Bergdorf nicht zu verklären, sondern in all seinen Facetten zu zeigen. Dass nicht jede Entwicklung der Moderne automatisch einen Fortschritt bedeutet, begreift man auch so, gerade die subtile Art, mit der diese und andere Fragen aufgeworfen werden, macht „Der Wind zieht seinen Weg“, zu einem so eindrucksvollen Film.

Michael Meyns

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